Transportboom, Pandemie, Brände und Krieg

Die Studie Safety & Shipping Review 2022 beschreibt und analysiert aktuelle Probleme und Herausforderungen der Seeschifffahrt

(ur) Mit der Invasion Russlands in der Ukraine und der Überlastung von Häfen durch den weltweiten Transportboom steht die internationale Schifffahrtsindustrie vor einer Reihe von neuen Problemen. Die Lage der Besatzungen bleibt angespannt, auch wenn die Corona-Pandemie abebbt. Auch die Größe der Schiffe sowie anspruchsvolle Klimaschutzziele setzen die Schifffahrt unvermindert unter Handlungsdruck, so die Safety & Shipping Review 2022 des Versicherers Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS).

Die jährliche AGCS-Studie analysiert die gemeldeten Schiffsverluste und -unfälle über 100 Bruttotonnen. Im Jahr 2021 wurden weltweit 54 Totalverluste von Schiffen gemeldet, verglichen mit 65 im Jahr zuvor. Dies entspricht einem Rückgang von 57 Prozent über 10 Jahre (127 im Jahr 2012), während Anfang der 1990er-Jahre jährlich noch mehr als 200 Schiffe verlorengingen. Die Gesamtzahl der Verluste im Jahr 2021 ist umso beeindruckender, als weltweit heute schätzungsweise 130.000 Schiffe unterwegs sind, während es vor 30 Jahren noch 80.000 waren. Diese Fortschritte spiegeln die Weiterentwicklung der Sicherheitsmaßnahmen im Laufe der Zeit wider – durch Schulungen und Programme, verbesserte Schiffskonstruktionen, neue Technologien und verschärfte Vorschriften.
Dem Bericht zufolge gab es in den letzten zehn Jahren fast 900 Totalverluste (892). Die Seeregion Südchina, Indochina, Indonesien und die Philippinen ist der wichtigste globale Schaden-Hotspot, auf den jeder fünfte Schiffsuntergang im Jahr 2021 (12) und jeder vierte in den letzten zehn Jahren (225) entfällt. Als Ursachen gelten hohes Handelsaufkommen, überlastete Häfen, ältere Flotten und extreme Wetterbedingungen in der Region.

Brände nehmen zu
Während die Totalverluste im vergangenen Jahr zurückgingen, stieg die Zahl der gemeldeten Schiffsunfälle. Mehr als jeder dritte Vorfall weltweit (1.311) war auf Maschinenschäden zurückzuführen, gefolgt von Kollisionen (222) und Bränden (178), wobei die Zahl der Brände um fast 10 Prozent zunahm.
Brände an Bord des Ro-Ro-Autotransporters Felicity Ace und des Containerschiffs X-Press Pearl führten zu Totalverlusten. Allein in den letzten fünf Jahren wurden über 70 Brände auf Containerschiffen gemeldet, heißt es in dem Bericht. Brände brechen häufig in Containern aus, was die Folge von nicht oder falsch deklarierter gefährlicher Ladung wie Chemikalien und Batterien sein kann – etwa fünf Prozent der verschifften Container würden nicht deklarierte Gefahrgüter enthalten. Brände auf großen Schiffen können sich schnell ausbreiten und sind schwer unter Kontrolle zu bringen. Dies führt oft dazu, dass die Besatzung das Schiff verlassen muss und sich die Gesamtschäden eines Brandes erheblich erhöhen kann.

Brände sind gerade für Autofrachter kritisch. Sie können unter anderem in den Laderäumen beginnen – verursacht durch Fehlfunktionen oder elektrische Kurzschlüsse in den Fahrzeugen – und breiten sich auf den offenen Decks schnell aus. Die wachsende Zahl von Elektrofahrzeugen, die auf dem Seeweg transportiert werden, erhöht das Brandrisiko: Zum einen sind die Lithium-Ionen-Akkus hoch entzündlich, zum anderen können die vorhandenen Löscheinrichtungen ein schnell loderndes Feuer oft kaum eindämmen. Solche Brände können angesichts des Wertes der Fahrzeugladung, der Kosten für die Beseitigung des Wracks und der Eindämmung der Umweltverschmutzung teuer werden.

Bergungsprobleme
Große Schiffe stellen die Schifffahrt unverändert vor Schwierigkeiten. Wenn sie in Seenot geraten, kann es schwierig sein, einen Nothafen zu finden. Es werden spezielle Geräte, Schlepper, Kräne und Hafeneinrichtungen benötigt, was den Zeit- und Kostenaufwand für eine Bergung erhöht. Die X-Press Pearl sank, nachdem ihr aufgrund eines Brandes von zwei Häfen die Zuflucht verweigert wurde. Die Häfen waren nicht in der Lage oder nicht bereit, Salpetersäure aus einem leckgeschlagenen Tank zu entladen. Die Bergung des Autotransporters Golden Ray, der 2019 in den USA kenterte, dauerte fast zwei Jahre und kostete über 800 Millionen US-Dollar.

Covid-19-Pandemie
Die Covid-19-Pandemie hatte nur wenige direkte Schäden für die Schifffahrtsversicherung zur Folge. Allerdings steht die Pandemie hinter vielen aktuellen Schwierigkeiten in der Branche, die Sicherheitsbedenken aufwerfen: die Besatzungskrise, den Transportboom und die Überlastung der Häfen. Die Nachfrage nach Crewmitgliedern ist hoch, doch viele qualifizierte und erfahrene Seeleute verlassen die Branche. Innerhalb von fünf Jahren wird ein ernsthafter Mangel an Offizieren prognostiziert. Bei den Seeleuten, die bleiben, ist die Arbeitsmoral niedrig, da der wirtschaftliche Druck, die Einhaltung von Vorschriften und die Arbeitsbelastung hoch sind. Eine solche Arbeitssituation erhöht die Fehlerneigung – 75 Prozent der Zwischenfälle in der Schifffahrt sind auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen, wie eine AGCS-Analyse zeigt.

Boom beeinträchtigt Sicherheit
Der wirtschaftliche Aufschwung nach den Lockdowns hat zu einem Boom in der Schifffahrt geführt – Charter- und Frachtraten erreichen Rekordhöhen, zugleich sind Container Mangelware. Dies verleitet einige Reedereien dazu, Massengutfrachter, Produkttransporter oder Öltanker für den Containertransport einzusetzen oder den Umbau von Tankern zu erwägen. Eine solche Zweckentfremdung wirft Fragen hinsichtlich der Stabilität, der Brandbekämpfungsmöglichkeiten und der Ladungssicherung auf. Massengutfrachter und Tanker sind nicht für den Transport von Containern ausgelegt, weil ihre Manövriereigenschaften bei schlechtem Wetter beeinträchtigt sein könnte. Zudem ist die Besatzung möglicherweise nicht in der Lage, in kritischen Situationen richtig zu reagieren.
Da die Nachfrage nach Schiffen hoch ist, verlängern einige Eigner auch die Laufzeit ihrer Schiffe. Schon vor der Pandemie stieg das Durchschnittsalter der Schiffe an. Analysen zeigen, dass ältere Container- und Frachtschiffe eher zu Schäden neigen, da sie unter Korrosion leiden und Systeme und Maschinen tendenziell häufiger ausfallen. Das Durchschnittsalter von Schiffen, die in den letzten zehn Jahren in einen Totalschaden verwickelt waren, liegt bei 28 Jahren.

Überlastete Häfen
Derzeit erlebt die Schifffahrt eine noch nie dagewesene Überlastung der Häfen, die Crews, Hafenpersonal und Anlagen unter zusätzlichen Druck setzt. „Das Be- und Entladen von Schiffen ist ein besonders riskanter Vorgang, bei dem kleine Fehler große Folgen haben können. In stark frequentierten Containerhäfen gibt es nur wenig Platz, und erfahrene Arbeitskräfte, die für die ordnungsgemäße Abfertigung der Container erforderlich sind, sind rar. Wenn dann noch schnelle Umschlagzeiten hinzukommen, kann dies zu einem erhöhten Risiko führen", erklärt Justus Heinrich, Leiter der Schifffahrtsversicherung der AGCS in Zentral- und Osteuropa und Globaler Produktmanager für Schiffskasko der AGCS.

Krieg in der Ukraine
Durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine sieht die Studie die Schifffahrtsbranche in mehrfacher Hinsicht beeinträchtigt: durch den Verlust von Schiffen und Besatzungsmitgliedern im Schwarzen Meer, die Unterbrechung des Handels und die Erfüllung von Sanktionen. Hinzu kommen Treibstoffprobleme und potenzielle Cyberrisiken.
Russische Seeleute machen etwas mehr als zehn Prozent der weltweit 1,89 Millionen Beschäftigten aus, während etwa vier Prozent aus der Ukraine stammen. Diese Seeleute könnten Schwierigkeiten haben, in ihre Heimat zurückzukehren oder nach Ablauf ihrer Verträge wieder auf die Schiffe zu kommen. Ein längerer Konflikt könnte zudem tiefgreifende Folgen für den globalen Handel mit Energie und anderen Rohstoffen haben. Ein erweitertes Verbot für russisches Öl könnte dazu beitragen, die Treibstoffe knapp und teurer werden zu lassen, so dass Schiffseigner gezwungen sein könnten, alternative Treibstoffe zu verwenden. Wenn diese Kraftstoffe von minderwertiger Qualität sind, könnte dies potenziell zu Schäden an Maschinen führen. Gleichzeitig warnen die Sicherheitsbehörden weiterhin vor erhöhten Cyberrisiken für den Schifffahrtssektor, wie zum Beispiel GPS-Störungen oder Spoofing (betrügerische Manipulation) des automatischen Identifikationssystems (AIS).

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