Fahrer im Visier

Fahrermangel – Auch die Tankspeditionen spüren wie die gesamte Transportbranche einen sich verstärkenden Mangel an geeignetem Fahrpersonal. Dies ergab eine Umfrage unter deutsche Unternehmen aus der Branche.

Von Stefan Klein

Typischer Tag im Leben eines Tankwagenfahrers: sehr früh weg vom überfüllten Rastplatz, durch Stau dennoch viel später als geplant an der Beladestelle, dort mal wieder lange Prüf- und Wartezeiten und zwischendurch macht regelmäßig der Disponent mit seinen Anrufen Druck. Droht nach der Beladung die Lenkzeit überschritten zu werden, heißt es: schnellstmöglich zur nächsten Rastgelegenheit. Spielt sich das Ganze an einem Freitag ab, ist das Wochenende zumindest teilweise dahin.

Es sind nicht zuletzt solche Arbeitstage, die viele Berufssuchende vom einstigen Traumjob Fernfahrer fernhalten. Ältere Berufskraftfahrer, die sich mit dem unsteten Fahrerleben arrangiert haben, sind kaum noch adäquat zu ersetzen, wenn sie in Rente gehen. Die gesetzlichen Anforderungen sowie die des Arbeitgebers und der Verladerschaft sind in den vergangenen Jahrzehnten gestiegen. Dies gilt erst recht in der Tanklogistik für Mineralöl- und Chemieprodukte: Hier braucht der Fahrer neben dem ADR-Schein auch noch Kenntnisse über Produkte, Lade- und Reinigungsprozesse und die umfangreiche Fahrzeugtechnik.

Alle Firmen registrieren Mangel

Alle in einer kleinen Umfrage befragten Tankspeditionen spüren einen sich stetig verstärkenden Mangel an Fahrern, auch wenn dieser sich noch nicht akut äußert – derart, dass Fahrzeuge regelmäßig nicht besetzt werden oder feste Transportaufträge nicht durchgeführt werden könnten. "In bestimmten Fällen verzichten wir aber inzwischen auf die Teilnahme an Ausschreibungen", sagt Franz Fischer von der gleichnamigen Spedition aus Nienburg (Niedersachsen). Sein Unternehmen setze auf das Prinzip Qualität statt Quantität. Zugleich ist er sehr bemüht, sein Fahrpersonal zu verjüngen, das im Schnitt über 50 Jahre alt ist.

Besonders schwer äußert sich das Problem Fahrermangel im Fernverkehr. "Ausschreibungen hat uns dies zwar noch nicht gekostet", so Bernd Benneker, Personalleiter beim Silologistiker Greiwing mit Sitz in Greven (Nordrhein-Westfalen). "Aber wir konnten zum Teil Aufträge nicht rechtzeitig abarbeiten, weil kurzfristige Fahrerausfälle aufgrund von Krankheit nicht zu kompensieren waren."

Ähnlich ist es bei der Nord-Spedition aus dem schleswig-holsteinischen Großenwiehe: "In Urlaubszeiten kann es heutzutage schon mal vorkommen, dass einzelne Fahrzeuge nicht bewegt werden können", so Personalleiter Patrick Zielinski. Um im technischen Bereich, d. h. den Chemieverkehren, ausreichend Fahrer zur Verfügung zu haben, bedürfe es grundsätzlich einer erhöhten Flexibilität durch die Disponenten sowie eines kollegialen Umgangs mit dem inzwischen so wertvollen Fahrpersonal. "Sobald ein oder zwei Faktoren aus Sicht des Fahrers nicht stimmen, kann es zur Kündigung kommen." Ein erfahrener Fahrer mit ADR-Schein wisse schließlich, dass er schnell woanders unterkommt. Auf solche plötzlichen Abgänge als Unternehmen kurzfristig zu reagieren, falle besonders schwer.

Durch altersbedingtes Ausscheiden, natürliche Personalfluktuation und organisches Wachstum haben die Tankspeditionen einen konstanten Bedarf an Berufskraftfahrern. "Es wird aber zunehmend schwieriger, die Balance zwischen der Ressource Fahrequipment und der Ressource Fahrpersonal herzustellen", so Peter Viebig, Director Transport beim Chemielogistiker Talke. Ein grundsätzlich effektives Mittel, diese Balance zu halten, ist das aktive Abwerben von Fahrern anderer Transportunternehmen. Dies betreibt Talke aber ebenso wenig wie die anderen befragten Tankspeditionen – wenngleich alle konstatieren, dass Fahrerabwerbungen zumeist mit dem Lockmittel einer höheren Entlohnung in der Branche regelmäßig stattfinden.

Eine Entspannung der Situation ist derzeit nicht zu erwarten, die meisten der befragten Unternehmen fürchten im Gegenteil eine Verschärfung des Fahrermangels. "Speziell in der Tank- und Silobranche verstärkt sich der Mangel sowohl durch die erhöhten gesetzlichen Ausbildungsanforderungen als auch durch immer höhere Anforderungen der Chemischen Industrie", sagt Michael Schaaf von Bay Logistik. Unter letzteres falle etwa die zunehmende Ladezeitensteuerung der Industrie, die neben der Verkehrssituation auf den Straßen zu immer längeren Wartezeiten führe. "Fahrer wollen fahren und nicht stehen", so Schaaf. Die Ladeslots aufeinander abzustimmen, sei fast unmöglich, man müsse Puffer einbauen. Die Fahrleistungen seien bei Bay Logistik jedenfalls deutlich gefallen: Vor zehn Jahren kam ein Tanksattelzug noch auf 150.000 Kilometer im Jahr, derzeit sind es 120.000 bis 130.000.

Viele mögliche Ansätze

Da der Arbeitsmarkt schon lange nicht mehr genügend qualifizierte Tankwagenfahrer hergibt – früher kamen viele von der Bundeswehr, wo sie einen Lkw-Führerschein und oftmals noch den ADR-Schein machten –, haben die meisten Unternehmen der Branche damit begonnen, interessierte Schulabgänger selbst zum Berufskraftfahrer auszubilden. Die duale Ausbildung dauert drei Jahre. Daneben gibt es gemäß dem vor zehn Jahren in Deutschland eingeführten Berufskraftfahrerqualifikations-Gesetz die Möglichkeit der beschleunigten Grundqualifikation an einer anerkannten Ausbildungsstätte mit anschließender theoretischer und praktischer Prüfung bei der IHK. Bewerber müssen hierfür aber schon in Besitz einer Fahrerlaubnisklasse (C, CE, C1E) sein – dieser Fall ist in der Praxis selten gegeben.

"Es ist seit Jahren schwer, Haupt- und Realschulabgänger für den Beruf Tankwagenfahrer zu begeistern, das gesamte Berufsbild Lkw-Fahrer ist negativ besetzt und die Fahrer identifizieren sich generell nicht mehr so sehr mit dem Unternehmen wie früher", sagt Birgit Graucob, Personalleiterin beim Logistikdienstleister Hoyer mit Sitz in Hamburg. Das soziale Umfeld zu Hause sei jungen Leuten heute viel wichtiger, als die große, weite Welt zu entdecken – die dann, wenn sich doch mal einer für den Job Fernfahrer entscheidet, auch schnell ihren Reiz verliere. Wichtig sei es aus Sicht des Arbeitgebers daher, neben einer angemessenen Bezahlung schon während der Ausbildung eine hohe Verlässlichkeit in Bezug auf die geplanten freien Tage bzw. freien Wochenenden zu bieten.

Nichts ist aus Sicht heutiger Fernfahrer schlimmer als die Unplanbarkeit der Freizeit. "Der Feierabend unserer Kraftfahrer ist täglich eine Wundertüte", sagt Jochen Köppen vom gleichnamigen Duisburger Tanklogistiker. Er sieht die Chemische Indus­trie beim Thema Fahrermangel außer bei den eingeschränkten Ladezeiten und der mangelnden Infrastruktur an den Ladestellen noch in einer anderen Sache in der Pflicht: sie muss bereit sein, mehr für Transporte zu zahlen. "Zu erwartende Lohnsteigerungen am Jahresende und steigende Aufwendungen für Fahrergewinnung und -ausbildung machen entsprechende Frachtanpassungen im kommenden Jahr zweifelsfrei erforderlich." Der Lohnkostenanteil in Köppens Fuhrpark liegt immerhin bei über 40 Prozent. Schon jetzt bewegen sich die Umsatzrenditen der Branche im deutlich einstelligen Prozentbereich.

Vor diesem Hintergrund setzt etwa Bay Logistik für gewisse Verkehrsströme schon lange auf unbegleitete Kombinierte Verkehre per Tankcontainer. Peter Viebig von Talke sagt indes: "Dass wir in dieser Situation mit der Verlagerung von Transporten auf die Schiene einen Ausgleich schaffen können, sehen wir nicht." Zum einen sei nicht jedes Ziel per Bahn erreichbar, zum anderen habe der Transport auf der Straße gegenüber der Schiene – ausgenommen auf klassischen Intermodal-Relationen wie nach Italien oder Spanien – gerade bei den derzeitigen Kraftstoffpreisen einen wirtschaftlichen Vorteil, den Kunden auch abriefen.

Fahrer aus dem Ausland

Angesichts wirtschaftlicher Zwänge und der Nachwuchsprobleme in Deutschland greifen heute die meisten Tankspeditionen auf ausländisches Personal zurück. "Wir stellen seit 2015 ausländische Mitarbeiter ausschließlich aus dem Baltikum ein", sagt Köppen. Die kulturellen Werte stimmten weitestgehend mit denen in Deutschland überein. Bedingung sei aber u.a., dass sich die Fahrer in Deutschland steuer- und sozialrechtlich anmelden. Sie bekommen – wie übrigens auch das in den vergangenen Jahren verstärkt akquirierte weibliche Fahrpersonal – grundsätzliche eine gleich hohe Entlohnung wie deutsche Fahrer.

Hoyer beschäftigt laut Birgit Graucob im von Deutschland ausgehenden Chemiefernverkehr polnische Fahrer im 3:1-Modell: drei Wochen im Monat unterwegs, eine Woche in der Heimat.

Patrick Zielinski, der durch die polnische Schwesterfirma der Nord-Spedition einen guten Überblick im Nachbarland hat, sagt: "Selbst in Polen ist allmählich ein Mangel an Berufskraftfahrern zu registrieren." Im Übrigen sei ihm die Nationalität der Kraftfahrer egal, wichtig seien indes Qualifikation und Sprache.

Auch Franz Fischer bekommt von seinen polnischen Fahrern zu hören, dass Fahrer von dort oft zu westeuropäischen Unternehmen wechseln und polnische Speditionen ihre Fahrer dann in den angrenzenden östlichen Nachbarländern suchen müssen. Er stellt in dem Zusammenhang auch klar: "Die Chemieindustrie fordert deutsch- oder englischsprachiges Fahrpersonal mit Fachkenntnis." Daher sei auch der Wettbewerbsdruck durch osteuropäische, trotz des hier geltenden Mindestlohns "Lohndumping" betreibende Unternehmen in der Chemielogistik noch nicht so hoch wie in anderen Transportbereichen.

Bei Talke übernimmt man für neu hinzukommende nicht-deutsche Fahrer neben der innerbetrieblichen Qualifizierung und Weiterbildung bei Bedarf auch Sprachkurse. "Unser Ziel ist es, dass Kunden an der Verladestelle keinen Unterschied zu deutschstämmigen Fahrern bemerken", so Viebig. Fahrertourismus, d. h. Fahrer mit Bussen aus Osteuropa abzuholen und dann über mehrere Wochen im Tanksattelzug wohnend einzusetzen, lehne man aufgrund von Qualitätsansprüchen ab.

Sehr verhalten äußerten sich die befragten Tanklogistiker in Bezug auf den potenziellen Beitrag von Flüchtlingen zur Lösung des Problems Fahrermangel. "Dies ist nicht zu erwarten, auch für Flüchtlinge muss der Beruf ja attraktiv sein", sagt Franz Fischer. Anfragen bei den zuständigen Ämtern wurden bislang abschlägig beschieden. "Die bürokratischen Hürden sind noch viel zu hoch", so Benneker. Bevor der Aufenthaltsstatus eines Flüchtlings nicht geklärt ist, könnten Unternehmen nicht einstellen. "Ich halte die hohen kulturellen Unterschiede für schwer überbrückbar, gerade in der sensiblen Welt der Gefahrgüter", meint Köppen. Viebig äußert sich ähnlich: "Für den ADR-Transport sehe ich das nicht. Unabhängig davon, wie schnell jemand die deutsche Sprache erlernt, braucht es vier bis fünf Jahre, bis ein ehemals Ungelernter für Gefahrguttransporte einsetzbar ist." Der Job könne rau sein und erfordere eine gewisse Dickhäutigkeit und Gelassenheit.

Langfristig zeichnet sich noch eine andere Lösung für den Fahrermangel ab: selbstfahrende Lkw bzw. autonomes Fahren. "Selbstfahrende Lkw stellen eine mögliche Lösung insbesondere im Fernverkehr dar", so Birgit Graucob. In der Flächenverteilung werden indes nach wie vor Kraftfahrer auf den Lkw sein.

Technisch sind selbstfahrende Lkw schon Realität, doch bis diese tatsächlich im normalen Straßenverkehr agieren, sind noch viele versicherungstechnische und – gerade beim Gefahrguttransport – juristische Fragen zu klären. Zudem dürften die derzeit sehr vollmundigen Ankündigungen der Lkw-Hersteller zu diesem Thema die wenigen potenziellen Bewerber für den Fahrerberuf eher abschrecken. Und außerdem: wer be- und entlädt dann die Tankfahrzeuge?

(aus: gela 09/16, www.gefaehrliche-ladung.de)

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