Digitale Impulse für Altbekanntes

Kesselwagen – Neue Ansätze gibt es bei der Entgleisungsdetektion. Doch nach wie vor droht eine Verlagerung von Gefahrguttransporten auf die weniger sichere Straße durch hohe Grenzkosten beim Thema Sicherheit.

Von Rainer Kogelheide

Keine neuen Themen auf dem Gleis – so könnte die Bilanz für das vergangene Jahr in puncto Sicherheitstechnik bei Kesselwagen lauten. Erneut drehte sich die Diskussion vornehmlich um passive Schutzmaßnahmen, welche die Auswirkungen eines Unfalls reduzieren. Hier wurden allerdings altbekannte Themen mit neuem Schwung aufgenommen. Dies gilt z. B. für das Thema Entgleisungsdetektion – also Geräte, die eine Entgleisung automatisch erkennen und dann eine Notbremsung einleiten. Die "Digitalisierung des Bahnverkehrs" gibt auch der Diskussion dieser Frage neue Impulse.

Zur Erinnerung: Bislang drehte sich alles um den Ende des letzten Jahrhunderts?(!) entwickelten mechanischen Detektor, der ab einem Beschleunigungsschwellwert die Bremsleitung belüftet und damit automatisch eine Notbremsung einleitet. Diese Technik wurde schon vor mehr als zehn Jahren in der Schweiz eingeführt, damals begleitet durch ein massives öffentliches Förderprogramm. In internationalen Gremien stand man dieser Technologie zunächst kritisch gegenüber, da automatische Notbremsungen in Tunneln oder auf Brücken befürchtet wurden. Tatsächlich behinderten zu scharf eingestellte Detektoren der ersten Generation den Eisenbahnverkehr erheblich. Diese Kinderkrankheiten sind heute allerdings weitgehend überwunden. Eine 2009 von der Europäischen Eisenbahnagentur (ERA) in Auftrag gegebene Studie zur Frage "der Bewertung von Maßnahmen zur Reduzierung von Auswirkungen von Entgleisungen” kam zu dem Ergebnis: Nur bei einer Ausrüstung aller Güterwagen mit solchen Geräten sei ein akzeptables Kosten-Nutzen-Verhältnis zu erreichen.

Sind mechanische Entgleisungsdetektoren noch zeitgemäß?

Heute stehen wir vor der Frage, ob es überhaupt noch zeitgemäß wäre, mechanische Detektoren einzuführen. Kommt der "intelligente Güterwagen" auf die Schiene, so wäre es nur noch ein kleiner Schritt, hier auch eine elektronische Sensorik einzubringen, die ggf. eine Entgleisung verhindern könnte und diese nicht nur detektiert, um damit Folgeschäden zu reduzieren.

Mit solcher intelligenten Sensorik ließen sich Abweichungen am Wagen oder in der Trasse oder heiße Radsatzlager feststellen, bevor sich überhaupt eine Entgleisung ereignet. Hier läge Potenzial, um die Sicherheit zu erhöhen. Mechanische Lösungen versus digitale Technik dürfte daher die erneute Debatte der Arbeitsgruppe "Entgleisungsdetektion" bei der Zwischenstaatlichen Organisation für den internationalen Eisenbahnverkehr (OTIF) bestimmen. Man darf gespannt sein, mit welchen Empfehlungen sie ihre Arbeit in den nächsten zwei Jahren abschließt.

Schwierige und lange Diskussion

Schwierig und entsprechend langwierig gestaltet sich auch die Diskussion um das Thema Risiken einer BLEVE: Eine Boiling Liquid Expanding Vapour Explosion kann durch Feuereinwirkung auf Tanks mit bestimmten Stoffen, klassischerweise unter Druck verflüssigte Gase, entstehen. Hier wird davon ausgegangen, dass in einem solchen Fall der Druck deutlich ansteigt und sich gleichzeitig die Festigkeitswerte des Tanks durch Feuereinwirkung reduzieren. Beides zusammen könnte zur Explosion des Tanks führen und erhebliche Energien freisetzen (BLEVE).

In den USA wurden deshalb bereits vor Jahrzehnten nach einigen katastrophalen Ereignissen alle Wagen, die eingesetzt werden, um unter Druck verflüssigte Gase zu befördern, mit einer Wärmeschutzisolierung versehen. Ob sich diese Maßnahmen so auf Europa übertragen lassen, ist allerdings fraglich. US-amerikanische Tanks unterschieden sich in einer wichtigen Frage von den europäischen: Sie waren alle mit groß dimensionierten Sicherheitsventilen ausgestattet. Damit ergibt sich schon im Vorwege die Frage, ob es bei hermetisch verschlossenen Tanks, wie diese in Europa üblich sind, überhaupt zu Gasaustritt und dann in Folge zu Feuer gekommen wäre.

Unfall schafft Aktualität

Nach Jahren ergebnisloser Diskussion bekam das Thema nun wieder Aktualität durch den schweren Unfall eines Zuges mit US-amerikanischem Fracking-Rohöl. Auch hier geht man in den USA und Kanada jetzt einen ähnlichen Weg wie oben beschrieben und hat beschlossen, alle Kesselwagen, die brennbare Güter transportieren, mit Brandschutzisolierungen auszurüsten. Begleitend hierzu wurde ein ganzes Maßnahmenpaket für diese Wagen verabschiedet. So sollen solche Wagen künftig größere Wanddicken aufweisen und daneben auch alle mit energieaufnehmenden Schutzblechen an den Tankenden – sog. Headshields – und Schutzeinrichtungen für die Ausrüstung versehen werden.

Der RID-Arbeitskreis hat in seiner Sitzung im November 2015 beschlossen, das Thema erneut aufzunehmen und eine Bewertung dieser Maßnahmen dem Arbeitskreis "Tank- und Fahrzeugtechnik" des RID-Fachausschusses zu übertragen. Er wird sich dieser Themen im ersten Halbjahr 2016 annehmen und soll Empfehlungen geben, wie mit diesen Risiken bzw. Maßnahmen weiter umzugehen ist.

Problematisch bleibt bei all diesen Maßnahmen das Kosten-Nutzen-Verhältnis zu bewerten. Dass Letzteres gewahrt werden muss, betonten viele Mitgliedstaaten in oben genannter Sitzung des RID-Arbeitskreises als Basisanforderung. Aus Sicht der Wagenhalter verweist der Verband der Güterwagenhalter in Deutschland (VPI) auf das bereits bestehende hohe Sicherheitsniveau im Bahntransport und hatte hierzu bereits 2013 bei Det Norske Veritas eine Analyse zur Sicherheitslage auf der Schiene in Auftrag gegeben. Im Ergebnis wurde dem Bahntransport auch hier ein sehr hohes Sicherheitsniveau bescheinigt.

Auch die ERA sieht das bestehende Sicherheitsniveau als akzeptiert an und betont, nur solche Maßnahmen zu unterstützen, die im Kosten-Nutzen-Verhältnis darstellbar sind. Die diskutierten passiven Maßnahmen am Wagen bewirken grundsätzlich eher geringe Sicherheitsverbesserungen, denen hohe Kosten gegenüberstehen. Diese würden den Verkehrsträger Schiene spürbar verteuern.

Wagenhalter schon jetzt durch externe Kosten stark belastet

All dies muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass die deutschen Wagenhalter schon jetzt stark durch externe Kosten belastet sind. Bis 2016 soll die Hälfte aller Wagen mit Flüsterbremsen ausgestattet sein, bis 2020 die gesamte Flotte – so die politische Vorgabe zum Thema Lärmschutz aus Berlin. Die privaten Wagenhalter werden für den Lärmschutz rund vier Milliarden Euro in Neuwagen und Umrüstung investieren. Eine Belastung, die der Lkw-Transport nicht schultern muss.

Von fairen Wettbewerbsbedingungen zwischen den Verkehrsträgern kann also schon heute nicht die Rede sein. Als Ergebnis droht eine weitere Verlagerung von Verkehren von der Schiene auf die Straße. Dies entspräche sicherlich nicht den umwelt- und verkehrspolitischen Zielen Deutschlands und der EU. Vor allem aber ist bei konsolidierter Betrachtung damit eher eine Verschlechterung der Gesamtrisikolage im Transport von Gefahrgütern zu erwarten.

Besser in die Infrastruktur investieren?

Wir müssen uns hier die Frage stellen, ob mit Investitionen in die Infrastruktur nicht mehr Sicherheitsgewinn bei einem deutlich besseren Kosten-Nutzen-Verhältnis möglich ist. Risiken katastrophaler Unfälle aus Infrastrukturmängeln sind ca. sieben Mal höher als jene aus Achsenbrüchen oder anderen technischen Mängeln am Wagen oder Tank – und verschärfen damit deutlich die Gesamtrisikolage im Schienenverkehr. Investitionen in mehr und neue Trassen würden z.B. die Umfahrung dicht besiedelter Regionen ermöglichen. Mit solchen Maßnahmen würde, neben dem direkten Sicherheitsgewinn, auch die knappe Kapazität erhöht und so der Verkehrsträger Schiene gestärkt.

Wie fatal sich die fehlenden Investitionen in Infrastruktur auswirken könnten, zeigt aktuell die Diskussion um lokale Risiken in der Schweiz und den Niederlanden. Hier vorgenommene Risikoanalysen kommen zu der Empfehlung, dass bei enger Bebauung Strecken für bestimmte Ladegüter zu beschränken seien. Da wegen der fehlenden Investitionen in die Netze fast nie Alternativstrecken zur Verfügung stehen, wäre eine unmittelbare Verlagerung von Gefahrguttransporten auf die Straße die Folge. Dies mit ungleich höherer Gefährdungslage für Mensch und Natur.

(aus: gela 01/16, www.gefaehrliche-ladung.de)

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