Pflicht und Kür

Ausrüstung – Crashpuffer und Überpufferungsschutz sind – für einige Gefahrgüter – seit Jahren gesetzliche Vorschrift. Wagenhalter setzen darüber hinaus freiwillig auf weitere Sicherheitsausstattung an Kesselwagen.

(skl) Eine der häufigsten Unfallarten im Schienengüterverkehr ist das stirnseitige Auffahren eines Wagens auf einen anderen. Dabei kann es durch die auftretenden Deformationen zum so genannten Aufklettern kommen: Durch die Wucht des Aufpralls schiebt sich ein Wagen mit seinen Puffern voran auf den Wagen davor. Dabei kann im schlimmsten Fall – wenn die Aufprallenergie hoch genug ist – auch der Tank eines Wagens beschädigt werden, es kann Produkt austreten und Mensch und Umwelt schädigen.

Vor diesem Hintergrund hielten 2005 Energieverzehrelemente, auch Crashpuffer genannt, Einzug ins RID, und zwar in Abschnitt 6.8.4 als Sondervorschrift im Bereich Ausrüstung (TE) mit der Nr. 22. Zunächst nur für Neubauwagen und den Transport einiger giftiger Gase wie Chlor, Ammoniak und Ethylenoxid vorgeschrieben, erfolgte mit den Jahren eine Ausweitung auf brennbare Gase wie Propan/Butan und Flüssigkeiten, die meist mehrere der Eigenschaften entzündbar, giftig und ätzend auf sich vereinen. Für Bestandswagen galten Nachrüstpflichten mit bestimmten Übergangsfristen. Crashpuffer sollen bei einem herben Rangier-Auflaufstoß oder einem Unfall einen Großteil der Aufprall­energie aufnehmen – gefordert werden mindestens 800 kJ je Wagenende bei Neubauwagen – und dadurch Untergestell und Tank des Kesselwagens schützen. Hierfür sind die Puffer gemäß EN 15551:2009 so konstruiert, dass sie sich verformen.

Bei einigen Gütern in Kesselwagen, für die Crashpuffer vorgeschrieben sind, gilt darüber hinaus eine weitere Ausrüstungs-Sondervorschrift: die TE 25. Sie gibt bauliche Bedingungen für einen Überpufferungsschutz sowie drei Alternativen zur Begrenzung der Schäden durch Überpufferung/Aufklettern vor:

  • dickere Tankböden (12/18 mm)
  • Sandwich-Cover an Tankböden
  • Schutzschild über dem Tankboden an jedem Wagenende.



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Wirksamkeit bei Unfällen

Dass Crashpuffer und Überpufferungsschutz die Auswirkungen von Gefahrgutunfällen wirksam vermindern, hat sich schon mehrmals gezeigt. So fuhr 2005 in Schweden ein Chlorzug durch eine falsch eingestellte Bremse mit einer Geschwindigkeit von 45 km/h gegen den Prellbock eines Anschlussgleises. Einige Wagen entgleisten, es gab aber keine Leckage, weil vor allem die Crashpuffer die Aufprallenergie bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit aufnahmen und darüber hinaus äußere Tankschutzschilde an den Wagen vorhanden waren.

Auch bei der frontalen Kolli­sion zweier Güterzüge im niederländischen Barendrecht erfüllten die Crashpuffer ihren Dienst, obwohl die in den Unfall verwickelten Kesselwagen Mineralölprodukte beförderten, für die gar keine Pufferpflicht besteht. Der Verlader, ein großer Konzern, hatte gemäß Unternehmensphilosophie schon damals alle Bahnwagen seiner Flotte – unabhängig von der Gefahrklasse – mit Crashpuffern ausgerüstet.

Sicherheit als Gesamtpaket

"Wir sehen bei unseren Kunden einen Trend zu mehr freiwilliger Sicherheit beim Gefahrguttransport", konstatiert Irmhild Saabel, Leiterin Business Development beim Schweizer Waggonvermieter Wascosa. Die Schweizer entwickelten 2011 den Safe Tank Car, der über alle sinnvollen bzw. besten am Markt erhältlichen Sicherheitsausrüstungen verfügt. Zu diesem Gesamtpaket gehören:

  • Crashpuffer neuester Generation (Suprapuffer G2) mit optimalem Kraftniveau/Deformationsweg
  • Überpufferungsschutzeinrichtungen AC04 des Herstellers EST Eisenbahn-Systemtechnik
  • Überrollschutz UE01 ebenfalls von EST (Armaturen im Domdeckelbereich befinden sich in einem verwindungssteifen Schutzrahmen und ragen nicht heraus)
  • Entgleisungsdetektoren EDT-101 von Knorr-Bremse
  • in Bezug auf Arbeitssicherheit optimierte Übergangsbühnen (durchgängige Gangbreite und zusätzliche Handgriffe) an beiden Wagenenden statt des üblichen kleinen Endtritts.

Inzwischen hat Wascosa mehr als 700 Safe Tank Cars an Kunden vermietet. Die Schweizer hoffen, dass sich damit langsam ein neuer Industriestandard durchsetzt. Vor kurzem hat der europäische Chemieverband Cefic in seinem überarbeiteten Leitfaden für das Design von Kesselwagen fu¨r den Transport von chemischen Produkten und Flu¨ssiggasen ein Feature des Safe Tank Car-Designs übernommen.

Auch bei VTG setzt man stark auf das Thema Sicherheit bei Gefahrguttransporten. Schon im Jahr 2002 stellte Europas größter Waggonvermieter, nachdem ein niederländischer Chemiekonzern Interesse bekundet hatte, die erste Serie von Crash Protected Rail Tank Cars (CPR-Wagen) für den Transport von Chlor in Dienst, 2005 folgte eine zweite Serie. Diese verfügt über:

  • Crashpuffer mit einer Energieaufnahme von sogar 1 MJ von Keystone (heute Axtone)
  • Aufkletter-/Überpufferungsschutz
  • formschlüssiger Domdeckelbereich
  • verstärkte Wanddicke der Tankböden
  • verstärktes Untergestell
  • verlängerter Vorbau (zwischen Tanksattelbereich und Pufferbohle),
  • Tankschutzschilde über den Tankböden (als "Knautschzone")
  • Anhebeösen (zur erleichterten Bergung).

Rund 160 Wagen wurden damals mit dieser Vielzahl an Sicherheits-Features ausgerüstet – es sollte eine Demonstration dessen sein, was schon damals technisch möglich war. In der Branche haben sich die CPR-Wagen seitdem indes nur für einige Produkte durchgesetzt, schließlich ist Sicherheitsausstattung nicht zum Nulltarif zu haben. "Wenn ein Kunde aufgrund interner Risikoanalysen zu dem Ergebnis kommt, dass er eine über das Gesetz hinausgehende Sicherheitsausstattung an einem von ihm genutzten Kesselwagen haben will, so liefern wir ihm diese natürlich", sagt Joachim Wirtgen, Leiter Safety & Maintenance Systems bei VTG. Was neben den Kosten der freiwilligen Sicherheitsausstattung außerdem grundsätzlich entgegensteht, ist der damit in der Regel einhergehende Verlust an Nutzlast bzw. Ladevolumen. Das Eigengewicht eines CPR-Wagens ist durch die Sicherheitsausstattung 1,2 Tonnen höher als das eines herkömmlichen Waggens.

Was den CPR-Wagen vom Safe Tank Car vor allem unterscheidet, ist das Fehlen von Entgleisungsdetektoren. "Eine Vollbremsung durch die Detektoren nach einer Rad­entgleisung reduziert in jedem Fall kinetische Energie", erklärt Saabel. "Und je mehr unkontrollierte Energie bei einem Unfall vorhanden ist, desto größer können die Schäden werden." Wirtgen sieht das kritischer. Zwar werde eine Entgleisung durch die Detektoren eher erkannt als durch den Zugführer, auch Fehlauslösungen, wie sie früher vorkamen, seien kein Problem mehr. Jedoch könne sich die bei Erreichen des Auslöseschwellwertes automatisch ausgelöste Vollbremsung auch negativ auswirken. "Wenn der Zug in einem Tunnel oder auf einer Brücke zum Stehen kommt, kann dies die Ausmaße eines Unfalls vergrößern", meint Wirtgen. Ein Lokführer hingegen könne den Zug aus solchen gefährlichen Situation bzw. schwer zugänglichen Stellen noch herausmanövrieren.

Verhindern statt vermindern

Nachdem Crashpuffer und Aufkletterschutz inzwischen für viele Produkte vorgeschrieben sind, ergänzt VTG seine Sicherheitsphilosophie durch die schrittweisen Aufrüstung der Kesselwagenflotte mit verstärkten Radsätzen. Wirtgen: "Damit senken wir das Risiko eines schweren Unfalls, der durch den Wagen verursacht wird. Andere Sicherheitsmaßnahmen wie Crashpuffer, Überpufferungsschutz oder Schutzschilde mildern die Unfallfolgen ab, den Unfall selbst können sie aber zumeist nicht verhindern." Unter Wagen, die eigentlich nur Radsätze mit 20 Tonnen Achslast benötigen, bringt man nun 22,5-Tonnen-Achsen an, unter Wagen mit 22,5-Tonnen-Achslast kommen 25-Tonnen-Achsen.

Eine Unfallauswertung des europäischen Schienengüterverkehrssektors nach dem Unglück von Viareggio im Jahr 2009 – dort war eine Radsatzwelle gebrochen – zeigte, dass Unfälle, bei denen die Ursache im Bereich der Waggons liegt, selten vorkommen. So verzeichnete man in Mitteleuropa in den letzten 15 Jahren nur 30 ermüdungsbedingte Radsatzwellenbrüche – bei mehr als 1,3 Millionen betriebenen Güterwagenradsatzwellen. "Warum sich bei gleichen Einsatz- und Betriebsbedingungen in sehr wenigen Einzelfällen Risse bilden und wie diese wachsen, ist derzeit noch nicht abschließend erforscht", so Wirtgen.

Durch den zunehmenden Einsatz verstärkter Radsatzwellen senkt VTG das Risiko der Rissbildung an Radsatzwellen und -scheiben. Sollte sich dennoch ein Riss bilden, erhöht sich durch die verlangsamte Wachstumsgeschwindigkeit eines Risses außerdem die Wahrscheinlichkeit seiner Entdeckung, entweder bei der Abfahrtskontrolle durch den Wagenmeister, den Sichtprüfungen im Zuge des EVIC-Programms (European Visual Inspection Catalogue) oder letztlich bei der Zerstörungsfreien Prüfung eines Radsatzes nach spätestens 600.000 km Laufleistung.

Um Kerben durch Schotterschlag, umlaufende Schleifrillen und andere Schäden, die zu Rissen in Radsätzen führen können zu verhindern, hat VTG außerdem bislang etwa 100 Chemiekesselwagen mit einem neuartigen Korrosionsschutz an den Radsatzwellen versehen. Die Beschichtung aus dem Hause BASF Coatings weist einen höheren Korrosions- und Abrasionsschutz gegenüber mechanischen und chemischen Belastungen als herkömmliche Beschichtungen auf. "Die ersten Erfahrungen mit der neuen Beschichtung sind positiv", so Wirtgen. Entwicklungsarbeit müsse jedoch noch bei den zerstörungsfreien Prüfungen geleistet werden. Derzeit muss bei einer Magnetpulverprüfung die Beschichtung kostspielig entfernt und danach wieder angebracht werden. Bei modifizierten Prüfungen mittels Ultraschall kann möglicherweise die Beschichtung auf der Radsatzwelle verbleiben.

Aufkletterschutz in anderem Sinne

Und noch eine andere Problematik treibt den Waggonvermieter verstärkt um. Jedes Jahr sterben allein in Deutschland laut Statistik der Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle des Bundes im Durchschnitt drei Menschen durch das unberechtigte Besteigen von Kesselwagen. Diese sind durch die angebrachten Leitern besonders gut zugänglich. In der Regel trifft es junge Männer, die das Aufklettern als Mutprobe oder Ähnliches betrachten. Was aber vielen nicht klar ist: "Schon in einem Abstand von 1,50 Meter zur Bahnoberleitung kann es zu einem tödlichen Stromschlag kommen", so Wirtgen.

Die Wagenmieter, insbesondere große Verlader aus der Mineralöl-/Chemieindustrie, machen vermehrt Druck gegen die fest­installierten Leitern. Dabei sind nicht alle Be- und Entladestellen so gebaut, das ein Handling ohne Leitern möglich ist. In Zukunft könnte es zu mobilen, bei Bedarf an Kesselwagen einzuhängenden Leitern kommen.

(aus: gela 01/14, www.gefaehrliche-ladung.de)

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