Bahnwagen im Blick

Einbau – Telematik hält nun endlich auch im Schienengüterverkehr Einzug. Zwei der größten europäischen Waggonvermieter haben vor Kurzem begonnen, ihre Flotten mit Telematikgeräten auszurüsten.

Von Stefan Klein

 

Wer "Telematik" schon einmal gegoogelt hat, weiß, dass das Angebot groß ist. Zahlreiche Anbieter locken auf dem Telematikmarkt mit immer besseren und immer günstigeren individuellen Lösungen. Das gilt sogar für den in Sachen Technologie oft als rückständig angesehenen Schienengüterverkehr.

Für die notwendige Stromversorgung der Systeme auf einem Güterwagen gibt es verschiedene Varianten, die drei häufigsten:

  • Radlagersysteme, die ihre Energie aus den Radumdrehungen gewinnen,
  • batteriebetriebene Systeme,
  • solarversorgte Systeme.

Die Leistungsfähigkeit der Systeme variiert ebenso stark wie der Preis und alles hängt von der Verwendungsart ab. Jede Technik hat ihre Vor- und Nachteile in der Beschaffung, im Einbau, beim Betrieb und Unterhalt. In jedem Fall empfiehlt sich ein gründlicher Praxistest.

Eine nicht zu unterschätzende Herausforderung beim Telematikeinsatz am Güterwagen ist – je nach Bauart der Systeme und Wagentypen – die geeignete Einbauposition. Bereits im Testbetrieb sollte eruiert werden, wie sich das Telematiksystem verhält, wenn vom Montageort kein ideales Sichtfeld zum Himmel besteht. Solche Einschränkungen führen nämlich nicht nur zu einer geringeren Positionsgenauigkeit, sondern können auch erheblichen Einfluss auf den Energieverbrauch haben. Zu überlegen ist zudem die Montagevariante: Schweißen, Magnete, Schrauben usw. haben alle Vor- und Nachteile.

Nicht zuletzt ist vorab zu klären, was mit den gewonnenen Telematikdaten passiert. Technisch lassen sich heute schon mit einfachen Geräten große Datenmengen generieren. Dies wirft etliche Fragen in Sachen Datennutzung auf, etwa: Was bringt eine Ortsinformation im Fünf-Minuten-Takt, wenn der Güterwagen steht? Müssen die Daten überhaupt in Echtzeit zur Verfügung stehen? Viele Telematikanbieter verfügen heute zwar über eigene Softwarelösungen für die Datenauswertung mit unterschiedlicher Bedienungsfreundlichkeit. Langfristig gesehen ist für den logistischen Anwender, der oft mehr als einen Gerätetyp einsetzt, aber effizientes Arbeiten in der Regel nur über Schnittstellen zu einer unabhängigen, einheitlichen Plattform zu erreichen.

VTG geht groß in Vorleistung

Europas größter Waggonvermieter VTG macht nun in Sachen Telematik ernst. Das Unternehmen kündigte im November an, in den nächsten drei bis vier Jahren seine europäische Güterwagenflotte – rund 60.000 Waggons, die sich auf 1.000 verschiedene Bauarten verteilen – mit jeweils einem VTG-Connector auszurüsten. "Als Marktführer sehen wir uns in der Verantwortung, die Schiene gegenüber anderen Verkehrsträgern attraktiver zu machen. Aus diesem Grund setzen wir konsequent auf Digitalisierung, und zwar europaweit", so der Vorstandsvorsitzende Heiko Fischer. Diese Vorleistung sei ein großer Schritt für das Unternehmen, aber auch den gesamten Schienengüterverkehr.

Der VTG-Connector als Herzstück der Digitalisierungsstrategie kommt vom Schweizer Hersteller Nexiot. Die kleine Box wird seitlich am meist I-förmigen Längsträger (auf welchem der jeweilige Waggonaufbau sitzt) etwa in der Mitte jedes Waggons aufgenietet. Die zur Datengenerierung und -übermittlung nötige Energie kommt aus Solarzellen. Eine Pufferbatterie kann aber sonnenlose Phasen bis zu einem Jahr überbrücken, wobei dies mit einer reduzierten Sendefrequenz von einer Stunde einhergeht. "Im Normalbetrieb werden die Positionskoordinaten alle zehn Minuten übermittelt", so Hanno Schell, Head of Technical Innovations bei VTG?Rail?Europe. Diese Fast-Echtzeit-Information ermögliche Kunden nicht nur eine genauere Nachverfolgung, sondern auch eine ggf. nötige, schnelle Intervention. Denn viele lassen sich nicht einfach nur die Position des Wagen anzeigen, sondern über das so genannte Geo­fencing automatische Statusmeldungen (Events) über Ein- und Austritte in individuell definierbaren Gebieten wie Terminals, Empfangsbetrieben oder Werkstätten generieren. Beispiele für ein sinnvolles Geofencing gebe es viele, so Schell. "Damit können etwa unsere Verladerkunden aus der Chemie, die sich oft der Responsible-Care-Initiative verschrieben haben, vorgeben und effizient kontrollieren, dass die von ihnen angemieteten und mit Gefahrgütern beladenen Wagen nicht auf Strecken durch große Innenstädte verkehren, wenn es Alternativrouten gibt."

Aus den vom VTG-Connector übermittelten Positionsdaten lassen sich ansonsten exakte Laufwege, Ankunftszeiten und tatsächlich gefahrene Kilometer ableiten – die VTG-Kunden können somit ihre Wagendisposition optimieren, d.h. Laufleistungen können erhöht, Stillstands- und Umlaufzeiten verringert werden. Für das Verarbeiten der Daten bzw. das Wagenmanagement bietet VTG den Kunden den neuen Service VTG-Connect an. Neben diesem Portal gibt es aber eine Schnittstelle im ITSS-Standard (Industrieplattform Telematik und Sensorik im Schienengüterverkehr) zu kundeneigenen Warenwirtschaftssystemen. Durch die Verknüpfung mit dem Kundensystem werde gerade das Management größerer Flotten ab 100 Güterwagen effizienter, so Schell.

Der VTG-Connector ist für alle drei Satellitensysteme GPS, Glonass und Galileo empfangbar. Ein im Gerät integrierter Beschleunigungssensor liefert zudem Daten über Schock- und Stoßereignisse. Zu letzteren zählen nicht nur Rangierstöße, sondern auch Beladestöße (etwa durch grob abgesetzte Container) und Stöße aufgrund mangelhafter Infrastruktur (etwa durch defekte Weichen). "In den nächsten Jahren werden je nach Waggontyp und Kundenanforderungen auch externe Sensoren an unseren ATEX-zertifizierten VTG-Connector angeschlossen werden können", sagt Schell. Denkbar seien Sensoren für Druck/Temperatur (bei Kesselwagen), Türöffnungen (bei Stückgutwagen) und Hebelbetätigungen (Handbremse, Armaturen). Die Sensoren können dabei auch von anderen Herstellern als Nexiot stammen. Außerdem laufen bereits Planungen für die Ausrüstung der weltweiten Tankcontainerflotte von VTG, entweder mit dem jetzigen Gerätetyp oder einem reduzierten Ausrüstungsstandard.

Wascosa rüstet intermodal auf

Auch das Schweizer Unternehmen Wascosa stattet seine Waggons derzeit mit Telematik aus, zunächst die Intermodalflotte. Ende 2016 waren bereits 700 Containertragwagen aufgerüstet. Bis Ende dieses Jahres sollen bei 90 Prozent der Intermodalflotte Telematikgeräte angebracht sein, danach sind Kesselwagen dran.

Nachdem Wascosa zunächst etliche in Frage kommende Systeme in einem Marktscreening ausfindig gemacht hatte, wurde gemäß einem Mindestanforderungskatalog, der sich aus den spezifischen Bedingungen des Bahnverkehrs ergab, eine Shortlist mit einem Dutzend Anbieter ausgewählt. Die verbliebenen Systeme unterzog man einem mehrmonatigen Praxistest sowie einer Total Cost of Ownership-Betrachtung, bei der nicht nur die Kosten für die Hardware-und Datenübertragung, sondern auch die für die Umrüstung der Wagen und das Datenmanagement überschlagen wurden.

Schließlich entschied sich der Wagenhalter für den Anbieter Savvy. "Das Unternehmen konnte mit einem modernen Produkt, schnellem Support und hoher Performance im Testbetrieb überzeugen", sagt Irmhild Saabel, Mitglied der Geschäftsleitung bei Wascosa. Das CargoTrac-Ex biete Leistungen weit über dem Branchenstandard, so betrage die Lebensdauer der Batterie im Standardfall sechs Jahre. Die Laufleistungsgenauigkeit lag im Gegensatz zu einigen anderen Geräten vom ersten Tag an auf einem sehr hohen Niveau. Und CargoTrac-Ex ist ATEX-zertifiziert, d.h. für explosionsgefährdete Bereiche der Zone?1 zugelassen – eine Mindestanforderung für die Ausrüstung der Intermodalflotte, die oft Gefahrguteinheiten befördert. Das Gerät bietet potenziell vier Anschlussmöglichkeiten für ATEX-Sensoren zur Überwachung von Temperatur, Druck, Füllständen oder Verriegelungen, diese können über eine 2,4 GHz-ZigBee-Funkschnittstelle angebunden werden.

Nicht zuletzt überzeugte Wascosa die Schnittstelle zur neutralen, zentralen Datenplattform NIC-base. Alle Telematikdaten können über diese Plattform einheitlich eingesehen und ausgewertet, aber darüber hinaus auch in die eigene IT-Landschaft importiert werden. Es stehen folgende Informationen zur Verfügung: Position, Strecken, Laufleistung, Routenoptionen, Status der Güter und Betriebsmittel, Unregelmäßigkeiten, Verantwortlichkeiten, Ansprechpartner. Das Portal macht damit nicht nur Logistikprozesse transparent, sondern bietet auch umfassende Möglichkeiten der Zusammenarbeit aller Beteiligten.

Nicht ganz unproblematisch erschien zunächst die Installation der Telematikgeräte, die im preissensitiven Schienengüterverkehr mit möglichst wenig Aufwand, d.h. bei laufendem Betrieb bzw. im Rahmen der üblichen Instandhaltung, erfolgen sollte. Güterwagen sind schließlich dazu da, um bewegt zu werden, die Flotte eines großen Wagenhalters ist dementsprechend über ganz Europa verteilt. Wascosa entschied vor diesem Hintergrund, auf einen zentralen Partner für die Auslieferung und Verwaltung der Systeme zu setzen und bei der Installation dezentral mit einem Netz von zuverlässigen Werkstatt-Dienstleistern zu arbeiten. Zentraler Partner wurde der Bahnausrüster Franz Kaminski Waggonbau mit Sitz in Hameln, über dessen Web-Shop die beteiligten Werkstätten die Telematikeinheiten nun bequem bestellen können. Zudem schult Kaminski die Werkstätten für die korrekte Installation. "Über ein eigens entwickeltes Web-Tool lässt sich nach Eingabe der Wagennummer die Freigabe eines Wagens für die Telematikinstallation per Smartphone überprüfen", erläutert Saabel. Damit reduziere sich der administrative Aufwand für alle Beteiligten – eine zusätzliche schriftliche Beauftragung entfällt. Für Kaminski sprach überdies das große Know-how bei Kesselwagen im Hinblick auf den später geplanten Einsatz von Telematikgeräten mit Sensorik.

Instandhaltung nach Laufleistung

"Mit der Telematikausrüstung der Intermodalflotte verbessern wir unsere Informationsbasis deutlich", so Saabel. Ein Wagenhalter wisse bislang kaum etwas darüber, was mit seinem Asset, dem Güterwagen, im Betrieb passiert. Sicheren Zugriff auf Informationen habe er nur alle paar Jahre während der planmäßigen Revisionen in der Werkstatt (alle vier, sechs, acht und zwölf Jahre – je nachdem, ob eine Kessel-, Untergestell- oder Radsatzprüfung fällig ist). Alle dazwischen liegenden Interventionen an den Wagen – seien es Be- und Entladungen, technische Übergangsuntersuchungen, Reparaturen oder andere außerplanmäßige Betriebsereignisse – sind oft mit großen Fragezeichen behaftet. Informationen an Wagenhalter und auch an Verlader werden – falls überhaupt – von den Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) nur zeitversetzt übermittelt.

Auch die Laufleistung der Bahnwagen werde von den EVU bislang kaum erfasst oder übermittelt, so Saabel. Dabei sei mit Kenntnis des Kilometerstandes eine optimale, zustandsabhängige Instandhaltung möglich. Denn die reine Orientierung an den festen Revisionsintervallen führte bislang dazu, dass Waggons gerade für die teuren Radsatzinstandhaltungsstufen einschließlich Lageraufarbeitung oft viel zu früh in die Werkstatt kamen. Kesselwagen legen schließlich oft nicht mal 50.000 Kilometer im Jahr zurück, Intermodalwagen aber ein Vielfaches.

 

Lärmproblematik: 50 Prozent der deutschen Privatgüterwagen fahren bereits leise

Was vor einem Jahr noch eine Prognose war, hat sich nun bestätigt: Die Hälfte der in Deutschland verkehrenden 60.000 privaten Güterwagen fährt bereits mit so genannten Flüsterbremsen. "Zum Stichtag 31. Dezember 2016 waren 30.663 Wagen unserer Mitgliedsunternehmen leise unterwegs. Mit einer aktuellen Umrüstquote von 51,1 Prozent liegen wir voll im politisch vorgegebenen Zeitplan", sagte der Vorsitzende des Verbands der Güterwagenhalter in Deutschland (VPI), Malte Lawrenz, mit Blick auf das von den Regierungsparteien im Koalitionsvertrag formulierte Lärmziel 2016. Spätestens Ende 2020 soll dann die VPI-Flotte, die überwiegend aus Kesselwagen besteht, komplett auf Flüsterbremsen umgestellt sein, so die Planungen der Wagenhalter.

Die aktuellen Umrüstzahlen waren von der HWH Gesellschaft für Transport und Unternehmensberatung im September/Oktober mittels einer Online-Abfrage bei den VPI-Mitgliedsunternehmen erhoben worden. Der VPI hatte die HWH schon einmal im Jahr 2015 als unabhängigen Gutachter beauftragt, ein Monitoring der Flottenumstellung vorzunehmen. Mit der nun jüngst ermittelten Umrüstquote liegen die Wagenhalter deutlich vor der Deutschen Bahn (42 % von 69.000 Wagen umgerüstet), deutschen Nicht-DB-Unternehmen (14 % von 64.000 Wagen) und auf dem deutschen Schienennetz aktiven Auslandsunternehmen (15 % von 34.000 Wagen).

Insgesamt sind derzeit nur 26 Prozent der im deutschen Fahrzeugregister eingetragenen Güterwagen lärmarm im Sinne der Technischen Spezifikationen Interoperabilität (TSI) Noise – damit wäre das Zwischenziel der Bundesregierung von 50 Prozent leisen Güterwagen Ende 2016 deutlich verfehlt. Diese vor allem in der Politik vorherrschende Betrachtungsweise lässt allerdings außer acht, dass die privaten Halter des VPI ihre neuen, mit Flüsterbremsen ausgestatteten Waggons vielfach im Ausland zugelassen und registriert haben – seit 2006 können Eisenbahngüterwagen in ganz Europa nach den gleichen Regularien registriert werden. "Eine alleinige Auswertung des deutschen Registers ist also für den Stand der Umstellung auf leise Technik nicht aussagekräftig", stellt Lawrenz klar.

In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die privaten Halter das angestrebte Lärmziel vor allem durch Neubeschaffung leiser Waggons erreichen. Von den 60.000 Wagen der VPI-Mitgliedsfirmen sollen 2020 rund 38.000 Wagen TSI?Noise-konforme Neubauten mit lärmarmen Komposit-Bremssohlen sein. Nur 22.000 Wagen werden indes durch Umrüstung auf LL-Verbundstoffsohlen auf den leisen Standard gebracht. Hierin unterscheiden sich die Privatgüterwagenhalter sehr von der Deutschen Bahn, die ihre Flotte nicht modernisiert, sondern zu fast 100 Prozent umrüsten will.

Entscheidend ist: Ohne eine gesamteuropäische Lösung bleibt es an deutschen Bahntrassen laut. Denn den 120.000 leisen Wagen von privaten Haltern und DB Cargo dürften 2020 rund 60.000 noch mehrheitlich laute ausländische Wagen gegenüberstehen und mit diesen in gemischten Zugverbünden durch Deutschland rollen. Die für eine halbierte Lärmemission notwendige Quote von 90 Prozent leiser Waggons im Zugverbund würde deutlich verfehlt.

Das von Bundesverkehrsminster Dobrindt initiierte Gesetzesvorhaben zum Verbot lauter Waggons in Deutschland ab 2020 ist aus Sicht des VPI gut gemeint, aber mit großem Risiko behaftet. "Sie droht wie die Pkw-Maut am EU-Recht zu scheitern", so Lawrenz. "Wir brauchen einen Plan?B." Am wirksamsten sei es, die Trassenpreise für laute und leise Züge ab 2020 um 30 Prozent zu spreizen. "Ein solcher Weg über Marktmechanismen kollidiert nicht mit europäischen Vorgaben und würde, rechtzeitig angekündigt, auch bei ausländischen Güterwagenhaltern die Umrüstung der in Deutschland verkehrenden Flotten in Gang setzen."

 

(aus: gela 01/17, www.gefaehrliche-ladung.de)

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