Straßen auf See

Ostseeverkehre – Seit Langem werden Gefahrguttransporte über die Ostsee nach dem Memorandum of Unterstanding abgewickelt. Aber noch immer gibt es in der Transportbranche Unklarheiten über dessen Anwendung.

Von Volker Utzenrath

Bei der 37. Konferenz zum Memorandum of Understanding (MoU) Anfang April in Lübeck wurde das MoU gründlich überarbeitet. Zum einen ging es um eine Anpassung an das Amdt. 38-16 des IMDG-Codes sowie an das ADR/RID 2017. Zum anderen ging es darum, das MoU anwenderfreundlicher zu gestalten.

Das Memorandum besteht aus der Erklärung der Mitgliedstaaten Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Lettland, Litauen, Polen und Schweden, das MoU als Ausnahme nach 7.9.1.1 IMDG-Code gelten zu lassen, sowie dem Hinweis, dass das MoU in der Anlage 1 die einzelnen Ausnahmen vom IMDG-Code unter Anwendung des RID/ADR regelt. Hinzu kommt ein Hinweis auf Anlage 2 (Verfahren über Änderungen), der Hinweis, dass das MoU kein nationales oder internationales Recht beugt, sowie das Datum des Inkrafttretens. Im aktuellen Fall ist dies der 1. Januar 2018.

Der Hinweis, dass das MoU eine Ausnahme zum IMDG Code ist, macht noch einmal deutlich, dass alles, was nicht im MoU geregelt ist, aus dem IMDG-Code herangezogen werden muss. Der gleiche Hinweis führt aber auch gelegentlich zu Stilblüten. Wird eine Ausnahme erteilt, dann ist nach 7.9.1.4 IMDG-Code "jeder Sendung eine Abschrift der Ausnahme beizufügen, wenn die Sendung dem Beförderer ... übergeben wird". Im Rahmen einer Kontrolle bei einer Reederei wurde dementsprechend auch einmal freundlich angefragt, ob denn bei jeder Buchung auch das MoU mit übermittelt werden könne.

Was bleibt?

Es bleibt auch weiterhin möglich, gefährliche Güter nach ADR/RID zu klassifizieren, zu verpacken, zu kennzeichnen, zu dokumentieren und sie dann mit einem Ro/Ro-Schiff über die Ostsee zu befördern. Es dürfen auch weiterhin Gefahrgüter, die nach dem IMDG-Code und solche die nach dem ADR/RID klassifiziert sind, auf eine Beförderungseinheit (CTU) geladen werden, d. h. weder für den Reeder noch für den Versender besteht die Verpflichtung, sich für eine der Vorschriften zu entscheiden. Dies macht es für die Versender leichter, die ihre Ware an einen Logistiker übergeben, und dieser dann den Transportweg selbst festlegt.

Problematisch wird es nur dann, wenn die ausgewählte Reederei nicht nach dem MoU verschifft, die Ware aber nach ADR/RID gekennzeichnet/dokumentiert und zusammengeladen ist. Da das Memorandum sich aber nicht nur an den Reeder wendet, sondern an alle Transportbeteiligten, haben die Kon­trollbehörden in diesem Bereich einen schwierigen Job. Die Frage, die sich dann stellt, ist, ob es einen bußgeldbewehrten Tatbestand darstellt, wenn jemand zum Beispiel eine Ware nach ADR markiert/kennzeichnet, und das dann von einer Reederei transportiert wird, die das MoU eigentlich gar nicht anwendet. Dem Reeder ist es in der Regel egal, wie die Versandstücke gekennzeichnet sind – er möchte die Gefahrgutinformationen sowie eine korrekte Kennzeichnung der CTU haben, um korrekt zu stauen und zu trennen sowie im Notfall entsprechend reagieren zu können. Da der Reeder auch niemandem mitteilen muss, wenn doch mal Gefahrgut nach MoU mitgenommen wird, ist es schwierig, hier Verstöße festzustellen.

Was ist neu?

In der Anlage 1 sind die Einzelvorschriften zum Teil neu sortiert und umformuliert worden. Unverändert gilt das MoU in der Ostsee südlich einer Linie von Skagen (Dänemark) nach Lysekil (Schweden) für den Transport verpackter gefährlicher Güter mit Ro/Ro-Schiffen. Für Containerschiffe darf es nicht angewendet werden. Bei Con/Ro-Schiffen wird es sinngemäß für den Ro/­Ro-Bereich angewendet.

Die Anwendung des MoU ist auch weiterhin freiwillig. Ein Sonderbereich innerhalb des MoU bleiben die so genannten Gebiete mit geringer Wellenhöhe. Dort gibt es weitere Erleichterungen, etwa für das Trennen der gefährlichen Güter oder bei der Anzahl der Fahrgäste an Bord. Diese Gebiete – dort darf eine Wellenhöhe von mehr als 2,30 Meter nicht öfter als während 10 Prozent im Jahr überschritten werden – sind in einer dem MoU anhängenden Karte eingezeichnet. Im Wesentlichen sind dies Dänemark und Südschweden, sowie das Gebiet um die Åland-Inseln zwischen Schweden und Finnland sowie die Route Helsinki – Tallin.

Nach dem unveränderten § 2 (Definitionen) gibt es im § 3 des MoU redaktionelle und inhaltliche Änderungen. So ist bei der Anwendung von Kapitel 3.4 (Begrenzte Mengen) oder 3.5 des IMDG-Codes (Freigestellte Mengen) keine Dokumentation notwendig, wenn der Schiffsführer über die zu befördernde(n) UN-Nummer(n) und Klasse(n) informiert wurde. In der Praxis wird diese Information vermutlich weiterhin bei der Buchungsabteilung abgegeben, denn der Kapitän wird kaum während der Beladung auf der Heckklappe stehen und auf entsprechende Hinweise der Fahrer warten. Bei Kleinstmengen nach Kapitel 3.5 unter 1 Gramm bzw. 1 Milliliter darf diese Information komplett entfallen. Die UN-Nummer 1327 (STROH, HEU oder BHUSA) muss allerdings abweichend davon nach IMDG-Code befördert werden.

Ebenfalls unverändert ist der Hinweis, dass abweichend von der SV 961 des IMDG-Codes der Schiffsführer darauf hingewiesen werden soll, wenn sich Fahrzeuge der UN-Nummern 3166 oder 3171 in einer CTU befinden und diese nicht sichtbar sind. Hintergrund hierfür ist ein Feuer an Bord eines Fährschiffes, bei dem ein Pkw, der auf einem Sattelauflieger verladen war, in Brand geriet. Daneben gab es auch einen Antrag, dass gebrauchte Batterien nicht in loser Schüttung befördert werden dürfen – auch hier hatte es Unfälle gegeben. Dementsprechend wurde der Antrag auch einstimmig angenommen.

Bei den Anforderungen an die Unterweisung von an der Gefahrgutbeförderung beteiligten Personen gab es den Antrag, diese zu streichen, da diese Anforderungen mit Kapitel 1.3 des IMDG-Codes abgedeckt seien. In der Diskussion wurde dann aber beschlossen, den Passus bestehen zu lassen und um Regeln für die Aufbewahrung der Schulungsnachweise zu ergänzen. Somit sind die Bestimmungen des MoU weiterhin zu schulen, an Land und an Bord.

Ebenfalls eine Klarstellung gab es bei der Anwendung von Sondervorschriften. Es gab teilweise unterschiedliche Auslegungen über die Anwendung, zum Beispiel bei Batterien. Diese sind nach SV 598 ADR von den meisten Vorschriften ausgenommen. Die SV 598 gibt es aber nicht im IMDG-Code – und so kam häufiger die Frage auf, ob ein Versender die SV 598 nutzen kann, um die Batterien als "harmlos", d. h. ohne entsprechende Anmeldung bei der Reederei zu befördern. Es wurde zunächst vereinbart, dass Sondervorschriften des ADR Anwendung finden können. Eine Ausarbeitung dazu, ob es spezielle Sondervorschriften für das MoU geben sollte, steht noch aus.

Im Bereich der Dokumentation wurde vereinbart, dass für Notfallmaßnahmen der EmS-Guide (Emergency Schedules) an Bord sein soll, und nicht – wie im IMDG-Code geregelt – entweder EmS-Leitfaden oder Sicherheitsdatenblätter oder andere vergleichbare Informationen. Auch das MoU muss gemäß 7.9.1 an Bord sein, und es wurde festgelegt, dass der IMDG-Code, der sich nicht selber vorschreibt, auch an Bord sein soll.

Die Dokumentation für die gefährlichen Güter darf dem IMDG-Code oder dem ADR/RID entsprechen, wobei die Unterschiede eher gering sind. Die seespezifischen Angaben wie "­Marine Pollutant" oder Flammpunkt sind ggf. im ADR-Dokument zu ergänzen. Wenn der Flammpunkt nicht genau angegeben wird, muss zumindest mitgeteilt werden, ob er < 23 °C oder ≥ 23 °C ist. Hintergrund dieser Angabe ist, dass es für die Schiffe Festlegungen mit entsprechenden Eignungsbescheinigungen gibt, wo welche Gefahrgüter gestaut werden dürfen. Bei brennbaren Flüssigkeiten hängt das zum Beispiel von der elektrischen Ausrüstung im Ladedeck und eben vom Flammpunkt ab – und die Grenze ist bei 23 °C. Daher kann es manchmal passieren, dass bei von außen gleich aussehenden Schiffen das eine die Ladung mitnehmen kann, das andere aber nicht.

Zwingend vorgeschrieben für die Verschiffung ist ein Containerpackzertifikat nach 5.4.2 IMDG-Code. Einzige Ausnahme sind Güter, die unter Kapitel 3.4 fallen. Liegt das Packzertifikat nicht vor, darf die CTU nicht zur Verschiffung angenommen werden. Das ist in der Praxis oft der Fall und führt dann in den Häfen zu Problemen. Hier sind Versender gut beraten, dies mit dem Logistiker im Vorwege zu klären, sonst kann es zu Transportverzögerungen kommen.

In der Praxis problematisch ist oft auch die Angabe "­Marine Pollutant", da man diese dem ADR nicht immer entnehmen kann. Hier hilft nur der Blick in Spalte 4 des IMDG-Codes. Wenn dort ein Gut als Meeresschadstoff eingestuft ist, muss die CTU auch entsprechend gekennzeichnet sein.

Anforderungen an Kennzeichnung

Ansonsten kann die Plakatierung/Kennzeichnung der CTU dem ADR/RID oder dem IMDG-Code entsprechen. In der Praxis wird meist die orangefarbene Warntafel vorn und achtern verwendet. Diese muss so angebracht sein, dass sie die Dauer der Seereise übersteht, während Placards nach dem IMDG-Code so anzubringen sind, dass sie drei Monate dem Seewasser standhalten. Letztere Regelung macht in der Containerschifffahrt Sinn, da immer wieder Container auf See verloren gehen. Für den ­Ro/­Ro-Bereich könnte man aber ggf. eine Anpassung im IMDG-Code vornehmen, denn es ist so gut wie ausgeschlossen, dass ein Ro/Ro-Schiff einen Lkw oder Sattelauflieger verliert.

Die neutrale orangefarbene Tafel muss in Form und Farbe dem ADR entsprechen, aber die Anforderungen zum Beispiel an die Feuerfestigkeit gelten nicht. Daher akzeptieren die meisten Reedereien selbstklebende Folien als Warntafeln, die man häufig dort auch bekommt bzw. käuflich erwerben kann. Verantwortlich für das Anbringen der Tafeln ist derjenige, der die Einheit zur Verschiffung bereitstellt. Das sind weder Reeder noch Hafenbetrieb (wobei beide dieses als Dienstleistung anbieten können). Die Schiffe dürfen eine CTU, die nicht ordnungsgemäß gekennzeichnet ist, nicht an Bord nehmen.

Bei der Zusammenladung gefährlicher Güter in einer CTU gab es im neuen Memorandum eine klarstellende redaktionelle Änderung. In Gebieten mit geringer Wellenhöhe dürfen Güter, die nach den Trenngraden 1 ("entfernt von") und 2 ("getrennt von") zu laden sind, abweichend vom IMDG-Code in die gleiche CTU geladen werden. Gleiches gilt für die besonderen Trennhinweise in Spalte 16 b der Gefahrgutliste. Für alle Transporte außerhalb von Gebieten mit geringer Wellenhöhe sowie für alle Güter der Klasse 1 als Haupt- oder Nebengefahr, gilt der IMDG-Code uneingeschränkt.

Bei den Klassen 2 bis 9 kann von den Stauvorschriften in 7.1 IMDG-Code abgewichen werden, allerdings nicht von den Stau- und Handhabungscodes. Für die Stauung nach MoU gibt es in § 12 eine Stautabelle. Wenn die Stauung nach dieser Tabelle verboten, aber nach dem IMDG-Code erlaubt ist, kann auch die Staukategorie nach IMDG-Code angewendet werden. Hierzu wurde noch einmal klargestellt, dass die erlaubte Personenanzahl auf Frachtschiffen (bis zu einer Person je 1 Meter Schiffslänge) aus dem MoU dann trotzdem weiterhin gilt. Dazu wird es bei der nächsten Konferenz vermutlich einen Vorschlag zur Überarbeitung geben, aber nicht wegen Sicherheitsbedenken, sondern aus redaktionellen Gründen.

Die Sicherung der CTUs an Bord muss entsprechend einem so genannten Ladungssicherungshandbuch erfolgen. Das wird für jedes Schiff erstellt und von der Klassifikationsgesellschaft abgenommen. Bei den meisten Schiffen ist nachzulesen, dass Einheiten mit Gefahrgut immer zu sichern sind, meist mit Ketten oder Gurten. CTUs ohne entsprechende Lascheinrichtungen dürfen nach dem MoU nicht zur Verschiffung angedient werden, d. h. das Schiff muss diese dann stehen lassen. Eine Regelung, nach welcher der Kapitän entscheidet, wie bzw. ob gesichert wird, gibt es im MoU seit vielen Jahren nicht mehr.

Zuletzt kam auf der Konferenz zum 37. MoU noch ein adminis­tratives Thema auf die Tagesordnung, nämlich die Anwendung des Memorandums auf einem Schiff, das nicht die Flagge eines der Unterzeichnerstaaten führt. Grundsätzlich ist auch dies möglich und wird in der Praxis auch gemacht. So fährt etwa ein Schiff derzeit unter Zypern-Flagge nach dem MoU. Zypern als Flaggenstaat und als ADR-Vertragspartei hat dem zugestimmt, und damit ist dies kein Problem. Für Schiffe, die unter einer Flagge eines Staates fahren, die weder MoU-Vertragsstaat noch ADR-Vertragspartei sind, wird es schwieriger.

Resümee

Grundsätzlich ist mit dem MoU eine Regelung gelungen, die seit mehr als drei Jahrzehnten erfolgreich angewendet wird. Etwas Vergleichbares außerhalb der Ostsee gibt es bisher nicht. Einzig die Ausnahme 33 der GGAV hat zum Teil vergleichbare Regelungen, ist aber begrenzt auf Fährverkehre in der Nordsee. Unfälle, die auf die Anwendung des MoU zurückzuführen sind, also bei Anwendung des IMDG-Codes nicht passiert wären, sind dem Autor nicht bekannt.

Eine Implementierung des kompletten MoU in den IMDG-Code wird es nicht geben, da das ADR/RID nicht weltweit gilt. Würde es weltweit einheitliche Regeln für den Gefahrgutstraßen- und -bahntransport geben, dann wäre auch ein weltweites MoU denkbar.

(aus: gela 06/17, www.gefaehrliche-ladung.de)

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