Kontrollverlust im Krankenhaus

Klasse 6.2 – In den Niederlanden untersuchte die Gewerbeaufsicht nach rund zehn Jahren erneut die Entsorgung klinischen Abfalls aus Krankenhäusern. Die Kontrollen offenbaren, wie schnell Vorschriftenkonformität verloren geht.

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(skl) Zwischen 2002 und 2007 führte die niederländische Gewerbeaufsicht für Umwelt- und Transportfragen regelmäßige Kontrollen in Krankenhäusern, Laboren und veterinärmedizinischen Einrichtungen durch, um die Einhaltung der Vorschriften des ADR beim Transport klinischen Abfalls (UN 3291) und dem Versenden diagnostischer Proben (UN 3373) festzustellen. In diesem Zeitraum erhöhte sich die Vorschriftenkonformität zusehends.

Im Jahr 2010 erhielt die Gewerbeaufsicht Hinweise darauf, dass Verträge zwischen Krankenhäusern und ihren inzwischen etablierten Gefahrgutbeauftragten nicht verlängert und Krankenhauspersonal hinsichtlich der Gefahrgutvorschriften nicht fortlaufend geschult worden war. Stichprobenkontrollen in fünf Krankenhäusern bestätigten diese Negativentwicklung. Indes hatte sich die Menge klinischen Abfalls u.a. durch Zytostatika (Medikamente zur Behandlung von Krebserkrankungen) erhöht, pro Jahr landen inzwischen 9.000 Tonnen dieser Abfälle in der zen­tralen niederländischen Entsorgungsanlage für spezifische klinische Abfälle in Dordrecht. Weil für Zytostatika-Abfälle u.a. die gleichen Entsorgungsbehälter genutzt werden wie für gefährlichen klinischen Abfall, wird dieser ebenfalls als Gefahrgut der Klasse 6.2 behandelt, obwohl er – wenn überhaupt – unter die Gefahrklasse 6.1 fällt.

Rückfall in alte Zeiten

Aufgrund dieser Befunde wurden Ende 2012 insgesamt 35 über das ganze Land verteilte Krankenhäuser verschiedener Größe von der Gewerbeaufsicht dahingehend untersucht, inwiefern die Vorschriften des ADR und des nationalen Gefahrgutrechts ( "Regeling vervoer overland van gefaarlijke stoffen " – VLG sowie  "Wet vervoer gefaarlijke stoffen" – WVGS) befolgt werden. Solche Untersuchungen in fast identischer Größenordnung hatte es auch in den Jahren 2002 und 2004 gegeben.

Die Ergebnisse 2012 fielen zum Teil sehr schlecht aus. So hatten 71 Prozent der Häuser keinen Gefahrgutbeauftragten bestellt – ein Rückfall auf den Stand von 2002, als die Gewerbeaufsicht erstmals begonnen hatte, sich dem Thema Gefahrgut im Krankenhaus zu widmen. Im Jahr 2004, nachdem die Behörde schon über zwei Jahre ihren Einfluss geltend gemacht hatte, verfügten hingegen nur 25 Prozent der Krankenhäuser über keinen Gefahrgutbeauftragten.

Als Gründe für die Negativ­entwicklung wurden bei den jüngsten Kontrollen interne Umstrukturierungen und Personalkosteneinsparungen genannt. Selbst in den zehn Einrichtungen, die einen Gefahrgutbeauftragten bestellt hatten, lief nicht alles ordnungsgemäß ab: so ließ der Jahresbericht der Beauftragten in sechs Fällen Zweifel an deren vollumfänglicher Pflichtenerfüllung aufkommen. Zudem war die Beanstandungsquote in Bezug auf andere Mängel nicht geringer als in Häusern, die keinen Gefahrgutbeauftragten hatten.

Noch schlechter als im Jahr 2002 schnitten die 35 Krankenhäuser bei der Schulung des Personals ab, das mit gefährlichem klinischem Abfall im Transport-/Versandbereich umgeht: 89 Prozent des Personals bekam unzureichende oder auf inaktuellen Vorschriften basierende Schulungen. Im Jahr 2002 war es nur gut die Hälfte gewesen.

Auch im Bereich Dokumentation fielen die Krankenhäuser unter das Niveau von 2002/2004 zurück: In 14 von 35 Krankenhäusern fand die Behörde Beförderungspapiere vor, die nicht den ADR-Vorgaben entsprachen: so fehlte darin oftmals die Anzahl und Beschreibung der Packstücke oder die Gesamtmasse des gefährlichen Abfalls.

Mängel wurden auch bei der Einhaltung der Verpackungsvorschriften festgestellt. In zwölf von 35 Krankenhäusern fand die Gewerbeaufsicht offene Verpackungen mit gefährlichem klinischem Abfall vor, in anderen Fällen waren die Deckel nicht richtig verschlossen, was die Gefahr von Leckagen stark erhöht. Dabei sind die Behälter so konstruiert, dass sie sich nach ordnungsgemäßem Verschluss gar nicht mehr von Hand öffnen lassen. Zudem verzichteten sechs Krankenhäuser vollends auf das nach der Verpackungsanweisung P 621 vorgeschriebene Absorptionsmaterial. Auch beim Verpacken von Patientenproben als  "Biologischer Stoff, Kategorie B" fand die Behörde bei knapp der Hälfte der Krankenhäuser Verstöße gegen die zugehörige P 650 vor.

Benutzte Geräte und OP-Bestecke wurden von einer Mehrzahl der Krankenhäuser nicht ADR-konform behandelt, viele wussten nicht einmal, dass Skalpell, Klemme & Co. auf dem Weg zur zentralen Desinfektion, die sich gerade bei kleineren Häusern nicht auf dem Gelände befindet, als Gefahrgut zu behandeln sind. Hier hat es allerdings auch erst mit dem ADR 2013 eine Klarstellung gegeben.

Auch ein Bereich, der 2002-2004 nicht untersucht wurde, hat starkes Verbesserungspotenzial: so befolgten 13 von 35 Krankenhäusern nicht die Sicherheitsvorschriften gemäß Kapitel 1.10. Klinische Abfälle und anderes Gefahrgut wurde in Räumen gelagert, die für jedermann frei zugänglich waren. Bei abholenden Beförderern erfolgte keine Identitätsfeststellung, eigenes Transportpersonal war (auch) in Sachen Security unzureichend geschult – dies gilt insbesondere für den Fall, dass einmal Proben oder Abfälle mit ansteckungsgefährlichen Stoffen der Kategorie A zu befördern waren.

Zu den wenigen Bereichen, in denen 2012 im Vergleich zu 2002 und 2004 Verbesserungen festgestellt wurden, gehört neben der Kennzeichnung der Verpackungen die Klassifizierung des klinischen Abfalls als UN 3291. Grund hierfür ist, dass die Krankenhäuser erst vor rund zehn Jahren die ADR-Klassifizierungskriterien in ihre Entsorgungspläne bzw. Abfalltrennungssysteme eingeführt hatten.

Sonderthema Zytostatika

Zytostatika werden in Großapotheken vorbereitet und in Krankenhäusern verabreicht, hier wie da fallen Abfälle wie Medikamentenreste, ungereinigte Verpackungen und Materialien an. Die Krebsbehandlungsmittel kommen in der Regel als Gefahrgut der Klasse 6.1 (Verpackungsgruppe II oder III) in begrenzten oder freigestellten Mengen in den Apotheken an, wo sie für die Verabreichung an Patienten vorbereitet und dabei auf eine Konzentration verdünnt werden, die sie nicht mehr unter Klasse 6.1 fallen lässt.

Die Inspektionen der niederländischen Gewerbeaufsicht erwiesen, dass in den meisten Krankenhäusern sicher mit Zytostatika umgegangen wird, eine Schwachstelle hier war die Deklarierung für externe Transporte. Indes fand die Behörde aber in drei Krankenhäusern, die zur Gabe an Patienten fertige Zytostatika über das öffentliche Straßennetz beförderten, ADR-Klassifizierungen vor – die Häuser erklärten die  "Überklassifizierungen " damit, dass sie auf der sicheren Seite sein wollten.

Zytostatika-Abfall und klinischer Abfall sind gemäß Europäischem Abfallverzeichnis in zwei verschiedene Abfallklassen zu trennen, sie dürfen nicht zusammen entsorgt werden. Viele Krankenhäuser geben beide Abfallarten dennoch als klinischen Abfall (UN 3291) in die gleichen Behälter. Ein Grund hierfür mag sein, so die Gewerbeaufsicht, dass Zytostatika-Abfall nicht besonders gekennzeichnet werden muss, da er ja – wie auch schon die in Krankenhäusern zur Verabreichung eintreffenden Zytostatika – kein Gefahrgut mehr ist. De facto bestehen aber bei vielen der Medikamente Unsicherheiten, ob die Exposition gegenüber dem Personal bei diesem nicht doch zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen kann.

In Apotheken indes, in denen kein klinischer Abfall mit potenziell infektiösen Erregern anfällt und sich eine Abfallmischung eigentlich von vornherein verbietet, sind die dort in der Regel noch höherkonzentrierten Zytostatika gesondert zu klassifizieren (in der Regel als Gefahrgut der Klasse 6.1), da sie CMR-Stoffe (karzinogen-mutagen-teratogen) enthalten können. Oftmals werden Zytostatika-Abfälle aber auch hier als UN 3291 entsorgt.

Fazit

Die Untersuchung der Aufsichtsbehörde kommt zu dem Ergebnis, dass die ADR-Vorschriften im Krankenhaus generell nur spärlich befolgt werden. Unter den 35 befragten und inspizierten Krankenhäusern war nur ein einziges, in dem keine gefahrgutrechtlichen Verstöße festgestellt wurden. In den 34 anderen Häusern gab es insgesamt rund 200 Beanstandungen.

Mehr als zwei Drittel der Krankenhäuser hatten keinen Gefahrgutbeauftragten bestellt. Die zehn Einrichtungen, die einen Gefahrgutbeauftragten hatten, waren ebenfalls nicht frei von (anderen) Mängeln. Hier schnitten übrigens die Krankenhäuser durchweg besser ab, die einen internen Gefahrgutbeauftragten hatten (4) – bei den Häusern mit externen Gefahrgutbeauftragten (6) wurden also jeweils mehr Mängel festgestellt.

Neben dem Mangel in der Gefahrgutbeauftragtenorganisation identifiziert die Gewerbeaufsicht die unzureichende Schulung von Mitarbeitern, zu deren Aufgabenspektrum der Versand und Transport von klinischem Abfall gehört, als größte Gefahrquelle für Expositionen von ansteckungsgefährlichen Stoffen. Mangelhafte Kenntnis führt fast automatisch zu anderen Mängeln wie unrichtiger Klassifikation, unzureichender Verpackung und Kennzeichnung sowie zu weiteren Verstößen.

Immerhin führte die Untersuchung auch zu Verbesserungen. So haben die meisten der 35 Krankenhäuser – sicher auch auf Druck der Behörde – inzwischen (wieder) einen Gefahrgutbeauftragten. Doch wie schnell sich dies wieder umkehren kann, hat die Vergangenheit gezeigt.

 

Kurzüberblick Klasse 6.2

Im Gefahrgutrecht werden ansteckungsgefährliche Stoffe als Stoffe definiert,  "von denen bekannt oder anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger enthalten" (ADR 2.2.62). Als Erreger gelten Bakterien, Viren, Rickettsien, Parasiten und Pilze. Ansteckungsgefährliche Stoffe sind einer eigenen Gefahrklasse zugeordnet, diese besteht aus lediglich vier UN-Nummern:

UN 3373 (Biologischer Stoff, Kategorie B) – hierunter fallen Patientenproben, die als potenziell infektiös zu betrachten sind (Exkrete, Sekrete, Blut(bestandteile), Gewebe, Abstriche sowie zu Diagnose-, Vorsorge und Forschungszwecken beförderte Körperteile). Zu verpacken sind die Proben gemäß P 650 in einer Dreifach-Verpackung mit ausreichend Absorptionsmaterial. Besteht nur eine geringe Wahrscheinlichkeit bzw. Verdacht, dass eine Probe Krankheitserreger enthält, so kann sie als  "Freigestellte medizinische Probe" unter etwas geringeren Verpackungsanforderungen als nach P 650 befördert werden.

UN 2814 (Ansteckungsgefährlicher Stoff, gefährlich für Menschen) – im Gegensatz zu UN 3373 enthalten diese Stoffe Erreger, die bei einem Menschen eine lebensbedrohende Krankheit oder dauerhafte Behinderung auslösen können. Diese Stoffe der Kategorie A (u.a. das gerade in Westafrika grassierende Ebola-Fieber) sind in einer Tabelle in Kapitel 2.2.62 aufgelistet. Zu verpacken sind die als UN 2814 verdächtigten oder schon diagnostizierten Proben gemäß P 620 in einer bauartgeprüften Verpackung.

UN 2900 (Ansteckungsgefährlicher Stoff, gefährlich für Tiere) – analog zu UN 2814.

UN 3291 (Klinischer Abfall, unspezifiziert) – werden Krankheitserreger bei einem Patienten festgestellt, muss alles, womit er in der Arztpraxis oder im Krankenhaus in Berührung kommt, gesondert entsorgt werden. Außer bei Erregern der Kategorie A: hier fallen Abfälle genauso wie die Stoffe/Proben unter UN 2814/UN 2900. Klinische Abfälle der UN 3291 sind gemäß P 621 zu verpacken, die Verpackungen müssen den Prüfanforderungen der Verpackungsgruppe II entsprechen. Neben den nur einmal verschließbaren Behältern für UN 3291 gibt es in Krankenhäusern Kanülenabwurfbehälter, Behälter für Zytostatika-Abfälle (oft als UN 2810 zu klassifizieren) und Behälter für flüssige, nicht-infektiöse Abfälle. Im Durchschnitt sind etwa fünf Prozent des in Kliniken anfallenden Mülls gefährliche Abfälle.

(aus: gela 10/14, www.gefaehrliche-ladung.de)

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