Endstation Munster

Explosiv – Mitten in der Lüneburger Heide steht ein einzigartiges Entsorgungszentrum. Hierhin gelangen Alt- und Fundmunition, andere explosionsgefährliche Abfälle und nicht zuletzt chemische Kampfstoffe.

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(skl) Es war eine Aufsehen erregende Ladung, die im September in Bremen vom US-Spezialschiff "Cape Ray" in Begleitung der Fregatte "Hamburg" gelöscht wurde: 22 Tankcontainer, die Reste aus der Vernichtung syrischer Chemiewaffen enthielten. Die Tanks wurden durch schon bereitstehende Sattelzüge alsbald ins niedersächsische Munster verfrachtet. Bei der hier ansässigen Gesellschaft zur Entsorgung von chemischen Kampfstoffen und Rüstungsaltlasten (Geka) wird der Inhalt seitdem in Spezialanlagen verbrannt und entsorgt.

Von dem flüssigen ätzenden Stoff, klassifiziert als UN 1760, sollte auf deutschem Boden eigentlich keine übermäßige Gefahr mehr ausgehen. Ursprünglich handelte es sich bei dem Abfall um Senfgas aus syrischen Chemiewaffen, die im Mittelmeer von der "Cape Ray" auf einen auch als Hydrolysat bezeichneten Reststoff mit einem Schadstoffanteil von unter 0,1 Prozent herunterkonditioniert worden war. Das hochätzende Senfgas als solches wollte kein Land aufnehmen, nachdem sich die Assad-Regierung Ende 2013 auf internationalen Druck zum Verzicht auf seine Chemiewaffen bereit erklärte. Gemäß den Vorschriften für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) hätte Syrien die Kampfstoffe eigentlich selbst zerstören müssen. Aber nicht zuletzt sollten die Chemiewaffen schnellstmöglich aus Syrien bzw. dem Kriegsgebiet herauskommen; in der internationalen Staatengemeinschaft verständigte man sich auf eine Aufteilung von Arbeit und Kosten, so werden etwa ebenfalls aus Syrien stammende Binärstoffe zur Herstellung von Nervenkampfstoffen wie Sarin in Finnland behandelt.

Bei der Geka wurden bisher gut 30 Prozent der insgesamt 370 Tonnen Senfgas-Reste in einer Spezialverbrennungsanlage vernichtet. "Bis Anfang nächsten Jahres wollen wir diesen Auftrag abgearbeitet haben", sagt Prokurist Ralf Sälzer. Das Hydrolysat wird schubweise in die mit rund 1.000 °C arbeitende Verbrennungsanlage eingesprüht, die Leistung liegt bei 150 Litern in der Stunde. Es ist kein fortlaufender Prozess, denn immer wieder muss die Anlage neu beschickt, gereinigt und justiert werden. Übrig bleiben zum Einen Gase, die in mehreren Stufen gereinigt werden. Zum Anderen entstehen insgesamt nur einige Tonnen nicht-reaktiven Salzes, das in eine Untertagedeponie bei Sondershausen (Thüringen) endgelagert werden soll.

So spektakulär die endgültige Vernichtung syrischer Kriegswaffen mitten in der Lüneburger Heide klingt – für die 140 Mitarbeiter der Geka ist es Routinearbeit. Aber auch diese wurde von einem Zwischenfall unterbrochen, als Ende Oktober drei Mitarbeiter beim Beschicken der Verbrennungsanlage durch Dämpfe verletzt wurden, sie kamen in eine Hamburger Spezialklinik. Auslöser für den Unfall war ein mit Senfgas verunreinigtes Fass – außer den 370 Tonnen Hydrolysat in Tankcontainern kamen nämlich auch noch 30 Tonnen Feststoffe aus der syrischen Chemiewaffenproduktion nach Munster. Warum das Fass nicht wie vertraglich vereinbart gesäubert und frei von Giftstoffen war, ist unklar. Es befand sich neben anderen Behältern auf einem Wagen, der sich in der Öffnung der Verbrennungsanlage verkeilt hatte. Beim Versuch nachzuhelfen, kam es dann zur Kontamination der Arbeiter.

Transporte mit Sondergenehmigung

Die Geka als bundeseigene Gesellschaft ist das einzige Unternehmen in Deutschland, das chemische Kampfstoffe oder Munition behandeln und entsorgen darf, wobei chemische Munition in den vergangenen Jahren nur noch rund ein Prozent der hier insgesamt unschädlich gemachten Altmunition ausmachte. Nach Munster gelangen die Klasse 1-Stoffe, sofern das Vorhandensein chemischer Kampfstoffe nicht ausgeschlossen werden kann, in einem von zwei zur Verfügung stehenden Sicherheitsbehältern mit 5 bzw. 15 Kilogramm TNT-Äquivalent, wobei der größere der gas- und explosionsdichten Behälter per Tieflader befördert wird. Für diese Transporte, die unter der eigentlich mit einem Beförderungsverbot belegten UN-Klassifizierung UN 0020 (Munition, giftig, mit Zerleger, Ausstoß- oder Treibladung) erfolgen, besteht eine Ausnahmegenehmigung nach § 5 GGVSEB der niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr. Diese ist an die "Allgemeinverfügung zur Klassifizierung von Kampfmitteln für die innerstaatliche Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße durch die staatlichen Kampfmittelräumdienste der Länder" (Allgemeinverfügung Kampfmittel) der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) angelehnt. Erfahrene C-Feuerwerker der Geka (das C steht für chemische Munition), welche die gemäß der Ausnahmegenehmigung erforderliche Sachkunde (u.a. nach § 20 Sprengstoffgesetz) haben, müssen zuvor einschätzen, ob die Altmunition überhaupt transportfähig ist. Gibt es keinen Verdacht auf Kampfstoffe in der Munition, so stehen für "normale" Klasse 1-Transporte ein EX/II- und ein EX/III-Fahrzeug zur Verfügung.

Altmunition wird nach der betriebsinternen Registrierung, Kennzeichnung und Nummerierung in vier Nato-Standardbunkern am Rande des Geka-Geländes bis zur Entsorgung zwischengelagert. Die bei der Geka anlandenden Abfälle gehen noch weit über unverbrauchte Munition zwischen den häufig vorkommenden Kalibern 7,62 (Gewehr) und 155 mm (Artilleriegeschoss) hinaus: Hierhin gelangt die zwei Tonnen schwere Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg ebenso wie nicht von der BAM zugelassene "Polen-Böller", gebrauchte Airbags und Batterien, leere Spraydosen oder kontaminierte Böden aus alten Rüstungsstandorten. Für dieses breite Spektrum stehen verschiedene Verfahren bzw. Anlagen bereit. Der weitläufig über das Gelände verteilte Anlagenkomplex wird von einer ständig besetzten Leitwarte mittels hochmoderner Bedien- und Beobachtungstechnik überwacht.

In der 1. Verbrennungsanlage, die in den 80er Jahren gebaut wurde, als die Bundeswehr die Kampfmittelbeseitigung noch selbst besorgte, kommen u.a. chemische Kampfstoffe wie die Ladung aus Syrien. Im Regelfall müssen die Stoffe jedoch zuvor aus der Munition mittels mechanischer Verfahren separiert werden. Ob chemische Stoffe in den Geschossen enthalten ist, wird zuvor durch Spezialisten geprüft, die über Erfahrung mit den verschiedenen Waffengattungen verfügen. Oftmals ist bei den Artilleriegeschossen eine Fülllochschraube Anzeichen für das Vorhandensein eines Haut-, Nerven- oder Reizkampfstoffs. Bestehen hierüber Unklarheiten, gewinnen die Feuerwerker durch das Röntgen in Schräglage einen tieferen Einblick in den Aufbau des Geschosses. Die Geka verfügt dabei auch über ein mobiles Röntgengerät, das vor allem bei stark korrodierter Fundmunition zum Einsatz kommt. "Pro Jahr entsorgen wir derzeit immer noch rund 100 bis 200 Schuss mit chemischer Munition", so Sälzer. Dabei war die Entsorgung der im Deutschen Reich für die beiden Weltkriege produzierten Chemiewaffen, die über Jahrzehnte in den Munitionsbunkern der Alliierten lagerten, eigentlich im Jahr 2007 offiziell abgeschlossen.

Beschickt wird die 1. Verbrennungsanlage mit so genannten Herdwagen aus feuerfestem Schamottstein, das Verbrennungsmenü richtet sich nach Art und Menge des Abfalls des schadstofforientiert zusammengestellten Abfalls. Oft werden neben Flüssigkeiten (Kampfstoffe, Lösungsmittel, Laborchemikalien) auch Pulver (Kieselgur) und Feststoffe (Verpackungen der Flüssigabfälle, Munitionsschrott/-hülsen, kontaminierte Arbeitsmittel) verbrannt, somit bleiben nach der Erhitzung auf 1.000 °C feste Rückstände übrig, welche die Anlage erst nach zirka 8 bis 12 Stunden als ausgeglühte Schlacke verlassen. Die beim Verbrennen entstandenen Gase gelangen zunächst in eine Nachbrennkammer, dort werden sie in der Quensche schlagartig heruntergekühlt und durchlaufen schließlich eine Rauchgaswäsche mit verschiedenen Filtern (Elektro-Nassfilter, Aktivkohlefilter, CO-Katalysator).

In den 2006 gebauten, zehn Meter hohen Sprengofen gelangen alle explosiven Abfälle. Munition mit einem Sprengstoffgewicht von bis zu 2,3 Kilogramm TNT-Äquivalent kann ohne Vorbehandlung in den elektrisch mit 450 °C beheizten, doppelwandigen Ofen gegeben werden. Im Sprengofen werden außer Munition noch Pyrotechnik, Airbags und Aerosoldosen durch Detonation bzw. Deflagration entschärft. Der dabei entstehende Überdruck wird im Pufferbehälter aufgefangen, Stäube in einem Feinstfilter zurückgehalten. Ähnlich wie in der 1. Verbrennungsanlage werden gasförmige Reste in einer Nachbrennkammer mit mehrfacher Filterung behandelt. Beide Anlagen erfüllen die Vorgaben der 17. Bundesimmissionsschutzverordnung.

"Bevor man solche Einrichtungen wie den Sprengofen hatte, war es auch in Deutschland üblich, überlagerte Munition auf freien Plätzen statt in geschlossenen Anlagen zwecks Entschärfung zu sprengen", erklärt Sälzer. Heute ist ein solcher Entsorgungsweg aus Arbeits- und Umweltschutzgründen verboten. Eine Ausnahme bildet Fundmunition mit Langzeitzündern, die aus Sicherheitsgründen oft noch vor Ort gesprengt werden muss.

Überschreitet Munition gewisse Maße oder enthält sie mehr als 2,3 Kilogramm TNT-Äquivalent, erfährt sie eine so genannte Delaborierung – die Zerstörungskraft größerer Granaten würde sonst die Leistungsfähigkeit des Sprengofens sprengen. Sprengstoff und Kampfstoff werden hierbei in einem strengen, mehrstufigen Sicherheitsprozedere voneinander getrennt und anschließend entsorgt: der Sprengstoff mit Zünder im Sprengofen, der Kampfstoff (bei Bedarf auch mitsamt Munitionshülse) in der 1. Verbrennungsanlage. Die Munitionszerlegung geschieht mittels mechanischer Verfahren wie Auffräsen, Anbohren oder Aufsägen. Die 2012 bei der Geka errichtete, neue Bombensägeanlage zerlegt entzünderte Abwurfmunition von bis zu 2,0 Tonnen TNT-Äquivalent: die Bomben werden quasi in Scheiben geschnitten, die sich dann portionsgerecht der Entsorgung im Sprengofen zuführen lassen.

Mit Kampf- und Sprengstoffen bzw. deren Zersetzungsprodukten kontaminierte Böden verlieren in der Bodenwaschanlage der Geka, die es so nur einmal in ganz Deutschland gibt, ihre gesundheitsgefährdende Wirkung. Klassifiziert wird das Erdreich in die drei Fraktionen Kies, Sand und Schlamm. Für die ersten beiden, grobpartikligen Fraktionen genügt eine nassmechanische Behandlung; nach positiver Qualitätskontrolle sind dann Kies und Sand, abgefüllt in Bigbags, für eine weitere Verwendung etwa im Straßen- und Wegebau einer nahen Deponie freigegeben. Die in der Bodenwäsche abgetrennten Schadstoffe in Form von Schlamm (die Schadstoffe haben die Eigenschaft, nur an den Feinstpartikeln zu haften) gehen zur weiteren Behandlung in die benachbarte Plasmaanlage.

Diese Anlage ist so etwas wie die Geheimwaffe der Geka bei der Vernichtung von hoch belastetem, sonst schwer zu entsorgendem Material. Mit mineralischen Zusätzen versehen, wird der Schlamm in eine rotierende Schmelzkammer eingebracht und dort unter Verwendung des Plasmabrenners mit extremen Lichtbogentemperaturen von bis zu 20.000 °C aufgeschmolzen. Es bildet sich eine Glasschmelze, die nach der Erstarrung die Schadstoffe, vor allem Arsen, dauerhaft einschließt. Dauerhaft heißt in dem Fall: wirklich ohne zeitliche Begrenzung.

Im Auftrag des Bundes

Die Geka, Gesellschaft zur Entsorgung von chemischen Kampfstoffen und Rüstungsaltlasten mbH, wurde 1997 in Munster gegründet, einem der größten Militärstandorte in Deutschland. Die Geka arbeitet ohne kommerzielle Interessen im Auftrag des Bundes. In Deutschland ist es das einzige Unternehmen, dem der Umgang mit chemischer Munition zum Zwecke der Vernichtung erlaubt ist.

Die Entstehung des Entsorgungszentrums an der Grenze zum Truppenübungsplatz Munster-Nord ist geschichtlich begründet. Bereits im 1. Weltkrieg entstehen in Munster Versuchs- und Produktionsanlagen für arsenorganische Kampfstoffe wie Clark I und II sowie für Lost (Gelbkreuz) und Chlorpikrin (Klop). Bei einem Explosionsunglück im Oktober 1919 werden 48 Gebäude, eine Million Granaten und Minen sowie Kesselwagen mit Kampfstoffen zerstört – das Gelände ist seitdem in einem Umkreis von drei Kilometern kontaminiert. Auch der 2. Weltkrieg hinterlässt hier seine Spuren, u.a. betreiben die Nazis eine Pilotanlage zur Produktion des Nervenkampfstoffs Sarin. Die britischen Streitkräfte übernehmen die noch funktionstüchtigen Anlagen mit den Munitionslagern, später sprengen sie Gebäude und Bunker samt Munition. Mit der Übernahme des Truppenübungsplatzes Munster-Nord durch die Bundeswehr startet ab 1956 eine kontrollierte Aufarbeitung der Hinterlassenschaften aus zwei Weltkriegen – eine immense Aufgabe, die bis heute noch nicht abgeschlossen ist.

Die Geka betreibt auf dem weitläufigen Gelände (67 Hektar) fünf räumlich getrennte Anlagenkomplexe. Im Sprengofen, der wichtigsten Anlage zur Entsorgung von Klasse 1-Stoffen, wurden 2013 320 Kilogramm chemische Munition und 361 Tonnen konventionelle Munition entsorgt. Von 2006 bis 2012 wurden auf dem Gelände der Geka insgesamt 2.585 Tonnen Kampfmittel beseitigt. Hinzu kommen noch größere Mengen an kontaminiertem Erdreich.

(aus: gela 12/14, www.gefaehrliche-ladung.de)

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