Schule der Praxis

Lehre – Die Aus- und Fortbildung von Gefahrgutfahrern muss laut ADR praxisbezogen sein. In Deutschland legt der DIHK detaillierte Praxisteile fest. Doch gerade das Verhalten nach Unfällen lässt sich schlecht schulen.

(skl) Die Schulung von Gefahrgutfahrern hat in Deutschland eine 35-jährige Tradition. Sie wurde 1980 – nicht zuletzt durch den Unfall eines Flüssiggas-Tankwagens im spanischen Los Alfaques mit mehr als 200 Opfern zwei Jahre zuvor – zunächst für Tankwagenfahrer eingeführt, 1990 auf alle kennzeichnungspflichtigen Gefahrguttransporte mit schweren Lkw ausgeweitet und durch beständige Fortentwicklung schließlich zur Vorlage für die europaweite Einführung mit dem ADR 1995.

Schulungspflicht

Führer von Fahrzeugen, die gefährliche Güter jenseits der Freistellungsregelungen befördern, müssen seitdem nach Kapitel 8.2 im Besitz einer ADR-Schulungsbescheinigung sein. Dafür ist der Besuch einer Schulung bei einem behördlich anerkannten Anbieter mit anschließender Prüfung nötig. Handelt es sich um die erstmalige Teilnahme eines Fahrers, spricht man vom Basiskurs – dessen erfolgreiche Bewältigung berechtigt dann zum Transport von kennzeichnungspflichtigen Stück- sowie Schüttgütern für eine Dauer von fünf Jahren. Danach ist eine Auffrischungsschulung notwendig.

Für den Transport einiger besonderer Gütergruppen ist nach dem Basiskurs noch ein Aufbaukurs erfolgreich zu absolvieren: Soll etwa ein Fahrer Gefahrgut in fest verbundenen Tanks mit einem Fassungsraum von mehr als 1 m3 oder in Tankcontainern mit mehr als 3 m3 Fassungsraum befördern, muss er nach dem Aufbaukurs Tank geschult und geprüft sein. Außerdem gibt es noch den Aufbaukurs Klasse 1 für den Transport explosiver Stoffe und den Aufbaukurs Klasse 7 für radioaktive Güter. Bei den Aufbaukursen ist seit 1997 keine spezielle Fortbildungsschulung mehr vorgesehen: hier musste sich Deutschland an die Vorgaben des ADR in Sachen Gefahrgutfahrerschulung anpassen. Die Auffrischungsschulung umfasst heute als Einheitskurs also alle Gefahrklassen.

Schulungsinhalte

Das ADR beschreibt in 8.2.2.3 bereits einigermaßen detailliert, welche Inhalte bei den Gefahrgutfahrerschulungen zu vermitteln sind. Noch genauer – jeweils gegliedert in acht Themensektoren mitsamt Zeitrichtwerten – werden in Deutschland die Schulungsinhalte des Basis- und der Aufbaukurse von Kursplänen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) vorgegeben, genauer gesagt vom Arbeitskreis "Beförderung gefährlicher Güter" des DIHK, in dem ein IHK-Vertreter aus jedem Bundesland plus vier Koordinatoren aus den Fragenerstellungskommissionen für die Prüfungen sitzen. Die IHKn sind in Deutschland gemäß § 14 Absatz 3 GGVSEB die zuständige Stelle für die Anerkennung und Überwachung der Schulungen bzw. Schulungsanbieter sowie die Durchführung der Prüfungen gemäß ADR 8.2.2.6 und 8.2.2.7. Die DIHK-Kurspläne machen die einzelnen IHKn in entsprechenden Satzungen für die Ausbildung von Gefahrgutfahrern zur verbindlichen Vorgabe für Schulungsanbieter in ihrem Gebiet.

Schulungsdauer

Der Basiskurs umfasst 19 Unterrichtseinheiten á 45 Minuten: 18 in Theorie und mindestens eine für praktische Übungen. In der Auffrischungsschulung sind indes sogar vier Unterrichtsstunden für die Praxis vorzusehen, bei lediglich acht Stunden Theorie. Das ADR schreibt hier lediglich die Zeitumfänge für die Theorieteile vor, die für die Praxisteile vorzusehenden Stunden sind in Deutschland nur in den DIHK-Kursplänen festgelegt.

Warum Fahrer, die bereits fünf Jahre Gefahrguttransporte durchgeführt haben, bei der Fortbildung so viel mehr Praxis üben wie "Frischlinge" im Basiskurs, ist nicht ganz einfach erklärbar. Alfred Winklhofer von der IHK Schwaben, der auch Mitglied im DIHK-Arbeitskreis "Gefahrgut" ist, erklärt dies so: "Im Basiskurs soll eindeutig die Vermittlung des theoretischen Grundrüstzeugs im Vordergrund stehen – trotz der mangelnden Praxiserfahrung der Anwärter in Sachen Gefahrgut." Desweiteren sei die reichlich bemessene Zeit von vier Stunden für den Praxisteil der Auffrischungsschulung auf die vor rund zehn Jahren geänderten Vorgaben für Mehrzweckkurse (heute 8.2.2.5.2 ADR) zurückzuführen: Hier wurden mindestens zwei Tage für die Fortbildung angesetzt, in Absprache mit dem Verkehrsministerium und Verbänden legte der DIHK hier dann zwölf Unterrichtseinheiten fest (acht für Theorie, vier für Praxisteile). Die 2011 in 8.2.2.5.2 ADR hinzugekommene Alternative, dass die Auffrischungs- mindestens die Hälfte der Erstschulung umfassen müsse, wurde in Deutschland nicht umgesetzt. Dadurch würden die Fahrerfortbildung mit mindestens 16 Stunden zu zeitaufwändig und an einem Wochenende schwer durchführbar.

Schulung der Praxisteile

Der DIHK-Kursplan für den Basis- schreibt ebenso wie der Kursplan für die Auffrischungskurse vor, dass die Praxisteile insbesondere die Themensektoren 6 ("Durchführung der Beförderung") und 8 ("Maßnahmen nach Unfällen und Zwischenfällen") in Bezug nehmen. Auch die einzelnen, dort genannten Themen unterscheiden sich kaum zwischen Erst- und Fortbildungsschulung.

Im Praxisteil für den Basiskurs steht bei den Schulungsanbietern angesichts der knapp bemessenen Zeitvorgabe Grundsätzliches zur Verkehrs- und Betriebssicherheit des Fahrzeugs einschließlich des Be- und Entladens auf dem Plan. Zudem ist hier, anders als im Praxisteil für die Auffrischungsschulung, eine Feuerlöschübung durchzuführen. Diese Übung in der Praxis zu gestalten, ist selbst auf dem Parkplatz des Schulungsanbieters nicht ganz einfach: Pulverlöschmittel geht hier gar nicht, weil zu viele Rückstände bleiben. Bewährt haben sich Feuerlöschtrainer der Marke Eigenbau oder von Spezialanbietern: Flammen werden durch eine Gasflasche erzeugt, eine Auffangwanne darunter nimmt das Wasser aus dem Feuerlöscher auf.

Bei der Auffrischungsschulung steht für den Praxisteil wie beschrieben bedeutend mehr Zeit zur Verfügung. Hier können die Schüler dann ausführlich die Abfahrtkontrolle an einem Gefahrgut-Lkw anhand einer Checkliste üben, sie überprüfen dabei insbesondere alle gefahrgutrelevanten Dokumente (Beförderungspapier, Schriftliche Weisungen, ADR-Schulungsbescheinigung des Fahrers, ADR-Zulassungsbescheinigung des Fahrzeugs, evtl. noch Fahrwegbestimmung und weitere Genehmigungen), die Ausrüstungsgegenstände gemäß Schriftlichen Weisungen sowie gängige Ladungssicherungsmethoden.

Im Besonderen aber geht es um die nach Unfällen und Zwischenfällen durchzuführenden Maßnahmen, auch diese sind laut DIHK-Kursplänen an einem Fahrzeug mit mehr als 3,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht zu trainieren. Der Fahrer hat dabei die Unfall- oder Leckagestelle zunächst abzusichern, dann eine Unfallmeldung abzusetzen und Vorkehrungen zu treffen, die das Ausmaß eines Schadens so gering wie möglich halten. Zu letzterem dient ihm die Fahrzeugausrüstung bzw. persönliche Schutzausrüstung laut Schriftlichen Weisungen, in denen ja zugleich auch die wichtigsten Verhaltensweisen aufgeführt sind. So soll der Fahrer – wenn dies gefahrlos möglich ist –, bei kleineren Entstehungsbränden einen der Feuerlöscher vom Fahrzeug sowie Ausrüstung wie Schaufel, Eimer oder Kanalabdeckung gegen die ungehinderte Ausbreitung von Gefahrgütern verwenden.

Wichtig dabei ist immer der Grundsatz "Eigenschutz vor Fremdschutz". So steht in den Schriftlichen Weisungen weiterhin – etwas konträr zu den genannten Bekämpfungsmaßnahmen –, dass sich der Fahrer bei einem Zwischenfall nach Betätigen von Bremse, Zündung (auf Aus) und ggf. Batterietrennschalter im Fahrzeug aus der unmittelbaren Umgebung entfernen, nicht in ausgelaufene Stoffe treten und das Einatmen von gas- und dampfförmigen Stoffen vermeiden solle.

Blick auf die Transportpraxis

Aber kann ein Fahrer, der durch einen Unfall in der Regel mehr oder weniger geschockt, wenn nicht sogar verletzt ist, allein wirklich etwas gegen die Ausbreitung gefährlicher Chemikalien ausrichten? Und lässt sich ein solch koordiniertes Verhalten wie es die Schriftlichen Weisungen sowie auch die Absätze 1 (Maßnahmen gegen Ausbreitung) und 2 (Meldung an Einsatzkräfte) in §?4 GGVSEB vorgeben, in irgendeiner Weise trainieren – so wie es die entsprechenden Praxisteile in den Lehrplänen der Schulungskurse suggerieren?

Befragung von Schulungsanbietern

Befragt man hierzu einige deutsche Schulungsanbieter, so erfährt man zunächst einmal, dass die meisten Anbieter im Basiskurs zwei Unterrichtseinheiten, d.h. also 90 Minuten, für die Praxisteile ansetzen. Das ist zumindest doppelt so viel wie die vom DIHK-Kursplan vorgegebene Mindestdauer. Die genaue Dauer der Praxisschulung hängt natürlich auch immer stark von der Zahl der (maximal 25) Teilnehmer ab. Mehr noch ist die Teilnehmerzahl – im Unterschied zu den Theorieteilen – entscheidend für die Schulungsintensität.

"Der Kursplan legt für jeden der acht Themensektoren neben Inhalten und methodisch-didaktischen Anforderungen auch die Schulungsdauer fest", erklärt Elisabeth Schiffner von Schiffner Consult. Insofern habe man hier wenig Spielraum. Etwas freier können die Anbieter dann innerhalb der Themensektoren agieren. Im Themensektor 8 ("Maßnahmen nach Unfällen und Zwischenfällen"), für den der DIHK-Kursplan insgesamt zwei Stunden ansetzt, liegt bei Schiffner Consult der Schwerpunkt auf den üblichen Vorgehensweisen nach einem Unfall: Eigensicherung, Absichern der Unfallstelle, Notruf unter "112" absetzen, Umwelt schützen. Hierzu wird ein Unfall mit Hilfe eines Lkw nachgestellt, die Teilnehmer haben dann mittels Fahrzeug- und Schutzausrüstung das richtige Verhalten zu demonstrieren. Das Thema Erste Hilfe wird nur am Rande erwähnt – hier legt der DIHK-Kursplan zum Einen keine Anforderungen fest, zum Anderen hat jeder Teilnehmer im Rahmen der Führerscheinprüfung bereits einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert.

Gerald Dünnebier, der in Unterfranken Gefahrgutfahrer ausbildet, geht in Themensektor 8 zusätzlich auf Unfälle aus der Vergangenheit ein, um bei angehenden Gefahrgutfahrern hohe Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Die Dekra Akademie arbeitet bundesweit nach einem einheitlichen Lehrplan, der auf den DIHK-Kursplan abgestimmt ist. Darin fällt der Praxisteil im Basiskurs – wie beim DIHK – wesentlich geringer aus als im Auffrischungskurs. Joachim Freek von der Dekra-Niederlassung im rheinland-pfälzischen Daun begründet dies auf Basis seiner Lehrerfahrung so: "Die Teilnehmer im Basiskurs bräuchten eigentlich noch mehr Zeit für die Theorie, da das Lehrprogramm mit sehr viel Neuem aufwartet. Die Teilnehmer haben meist auch eher Probleme mit den theoretischen Inhalten als mit den Praxisteilen." Zudem beziehe sich ja die Prüfung nur auf die Theorie und nicht auf die Praxisteile.

André Mente, Fuhrparkleiter bei der Spedition Klaeser, meint, dass die ADR-Praxisschulung allein nicht ausreiche. "Und bei schweren Unfällen kann der Fahrer ohnehin wenig ausrichten." Feuerwehren rieten in der Regel davon ab, selbst Löschversuche zu unternehmen. Wichtiger seien das Absichern, die Unfallmeldung und der Selbstschutz.

In den Transportfirmen sind also aufbauend auf den ADR-Fahrerschulungen zumindest innerbetriebliche Unterweisungen nach ADR-Kapitel 1.3 und auch regelmäßige Weiterbildungen nötig – gerade wenn es um Bereiche wie Unfälle und Near Misses, Fahrverhalten oder Be- und Entladen von Tankfahrzeugen geht. Grundsätzlich liegt die Notwendigkeit hierfür schon in der Tatsache begründet, dass die ADR-Fahrerschulung erst nach fünf Jahren zu wiederholen ist, das ADR indes aber einem zweijährigen Turnus unterliegt. Und auch im ADR ändern sich – zwar nur vereinzelt, aber doch regelmäßig – Vorschriften, die für den Fahrzeugführer relevant sind.

 

Immer weniger Fahrerschulungen

2014 wurden in Deutschland 51.814 Gefahrgutfahrer geschult und erfolgreich von einer IHK geprüft – dies ist der niedrigste Stand seit Beginn der DIHK-Statistik im Jahr 1990. Seit 2007 gehen die Absolventen-Zahlen in den Basis- und Aufbaukursen beständig zurück, die Zahl der Auffrischungsschulungen ist aufgrund des 1999 eingeführten Fünf-Jahres-Intervalls stark schwankend. 2007 hatte die Gesamtzahl der Schulungen letztmals die 100.000er Grenze überschritten, in den Jahren zuvor war dies häufig der Fall.

Die Gründe für den konstanten Rückgang sind vielschichtig. Nach Meinung von Alfred Winklhofer, einer der Koordinatoren der Prüfungsfragenerstellungs-Kommission, liegt der Hauptgrund darin, dass die Transportfirmen mehr als früher prüfen, ob ihre (sämtlichen) Fahrer Gefahrgüter befördern und somit den ADR-Schein brauchen. "Die Zeiten, in denen große Unternehmen wie Dachser durchweg alle Fahrer nach ADR schulten, sind vorbei." Auch die Maßnahmen der Agentur für Arbeit, die erwerbslosen Beruftskraftfahrern früher durchaus mal eine Fahrerschulung als Bildungsgutschein spendierten, wurden deutlich zurückgefahren. Und die Bundeswehr bildet spätestens seit der Abschaffung der Wehrpflicht deutlich weniger Gefahrgutfahrer aus – diese hatten in der Vergangenheit, nachdem sie aus der Bundeswehr in die freie (Transport-)Wirtschaft gingen, ihre ADR-Bescheinigungen oftmals verlängert.

Der Anteil der Prüfungsteilnehmer, die nicht bestehen, ist besonders im Basiskurs mit rund 30 Prozent relativ hoch, der Anteil bei den Auffrischungsschulungen liegt indes im einstelligen Prozentbereich. Im Basiskurs müssen mindestens 25 von 30 Multiple-Choice-Fragen richtig beantwortet werden. "Wir wollen den Anspruch hoch halten, schließlich ist der Transport von Gefahrgütern einer der verantwortungsvollsten Tätigkeiten in der Transportbranche überhaupt", erklärt Winklhofer.

Zur hohen Durchfallquote trägt auch bei, dass – anders als bei den Gefahrgutbeauftragten-Prüfungen – der Fragenkatalog, der allein für den Basiskurs etwa 600 regelmäßig aktualisierte Fragen umfasst, unter Verschluss der IHK bleibt. "Die Prüflinge sollen keine Fragen und Antworten pauken, sondern den Lernstoff wirklich verstehen", so Winklhofer. Nicht zuletzt sei die hohe Durchfallquote auch darauf zurückzuführen, dass in Zeiten, in denen allgemein ein Fahrermangel besteht, viele Schulungsteilnehmer aus dem Ausland kommen bzw. einen Migrationshintergrund haben und es damit schon auf sprachlicher Ebene am eingeforderten Verstehen der Regeln für die sichere Beförderung gefährlicher Güter hapert.

(aus: gela 11/15, www.gefaehrliche-ladung.de)

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